Demokratie ist Konflikt !!!

Demokratie ist Konflikt!

Yeah, Mann! Klar. Unterschreibe ich sofort. Wenn es nur so einfach wäre.Konflikte auszuhalten, seine Menschlichkeit dabei nicht zu verlieren, selber den anderen nicht weghaben zu wollen oder schlecht zu denken ist so verdammt schwer – von Felix Döppner.

Es ist Freitagabend. Wie fast jeden Freitag treffe ich mich mit ein paar Kumpels zum Radfahren. Bei jedem Wind und Wetter. Ziel ist dann ein gemütlicher Ort, um wieder Energie zu tanken, meist in Form eines leckeren Kottelets und Bieres. Einer der Radkollegen, Haile, ist noch nicht so lange in Deutschland. Seine Flucht aus Äthiopien ist erst zwei Jahre her. Leider fährt er meistens Vorneweg – ich schiebe es auf sein junges Alter und die 20 Kilo weniger, natürlich nicht auf meine 10 Kilo zu viel. Vielleicht ist er aber auch einfach talentierter, auf jeden Fall mehr im Training. Wir fahren diesmal den Radweg an der Fulda entlang Richtung Kämmerzell. Haile und Jan passieren 10 Meter vor mir und Steve zwei Fußgänger. Sie sehen aus wie Vater und Sohn. Der Eine Ende fünfzig, der Jüngere Mitte dreißig. Es ist warm, beide tragen eng anliegende T-Shirts, der Sohn sogar ein Muskelshirt. Man sieht männliche Oberkörper mit einem wohl trainierten Hochstiftmuskel darunter. Aufrechter Gang, die Brust rausgestreckt, Stolz im Gesicht, als ich plötzlich ein „U-U-U-U“ vernehme, das der Ältere der beiden Passanten gerade klar und deutlich von sich gibt. Ich verstehe zuerst nicht, doch dann wird mir schlecht, denn mir wird klar, dass die affenähnlichen Geräusche meinem Fahrradfreund Haile gelten. Am helllichten Tag, kurz vor Gläserzell. Mein Instinkt wird wach und ein „dummes Arschloch“ schreie ich den beiden hinterher. Steve fragt mich, was los sei. Ich berichte kurz und er mag es erstmal nicht glauben. Deshalb dreht er um, um die beiden Fußgänger noch mal zu inspizieren. Nach ein paar Minuten kommt er zurück und sagt mit seiner ernsthaften Gelassenheit: „Joah, könnten schon Nazis gewesen sein.“ Weiter erklärt er, dass er neben ihnen her gefahren sei und fragte, ob sie selbige Geräusche noch mal wiederholen könnten. Unsere beiden stolzen Deutschen gingen direkt in die Defensive und sagten, dass Steve sie gerade nötigen würde.

Während der beiden nächsten Stunden im Sattel drehten sich meine Gedanken ausschließlich darum, wie ich und die anderen hätten reagieren sollen. Anfänglich kamen Wutschübe, die mich fast dazu bewegten, umzudrehen und die zwei „Deutschen“ in die nächste Dornenhecke zu werfen. Immerhin waren wir mehr. Doch schnell wurde mir klar, dass die Herren sich dadurch nur bestätigt fühlen würden und sich als Opfer erleben würden. „Fremd und bedroht im eigenen Land.“ Hört man das nicht immer wieder von den Menschen, die bekennende Rechtsradikale sind? Und dann noch wegen jemanden, der eigentlich in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter unten stehen sollte. Außerdem wären wir dann selbst zu Aggressoren geworden, hätten wir unseren Rachefeldzug durchgezogen. Ähnliches wäre wohl passiert, wenn wir, was auch eine Idee aus der Gruppe war, hinter den beiden „Helden“ hergefahren wären und Grunzgeräusche gemacht hätten. Gleich der Botschaft: „Ihr Schweine.“

Beim Fahren fällt mir dann ein Zitat von Mo Asumang ein: „Der Kreislauf der Gewalt kann unterbrochen werden.  Nicht sie (in dem Fall die rassistischen Fußgänger) müssen wir versuchen zu ändern, sondern wir sollten vor allem auf uns achten. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, nicht gegen etwas zu kämpfen, sondern seine ganze Kraft dafür zu verwenden, die eigene Menschlichkeit zu erhalten, mit all seiner Wärme man selbst zu bleiben, egal, vor wem man steht.“

Natürlich konnte ich das nur sinngemäß meinen Kumpels wiedergeben und die Diskussion ging weiter, als wir betrübt beim Italiener in Horas an unserem Kaltgetränk nippten. Wir fragten uns, warum es einfacher für uns ist, auf Menschen aus anderen Kulturen zuzugehen, als mit den zwei Tätern zu sprechen: „Hallo, Jungs. Dürfen wir euch Haile vorstellen? Der arbeitet jetzt schon länger bei uns im Laden. Was hat euch denn da geritten, diesen Quatsch zu machen?“ Klingt so einfach. Doch da sind so viele innere Hindernisse. Aber ist es nicht das, was mit der Überschrift gemeint ist? Demokratie heißt, wach mit Konflikten umzugehen, sie nicht zu unterdrücken, sich ihnen zu stellen. Wahrscheinlich auch der inneren Wut und Angst. Und sich dennoch davon nicht übermannen zu lassen. Dabei fest bei seinen Werten zu bleiben, ohne überheblich und unmenschlich zu denen zu sein, die vielleicht sogar objektiv ein Brett vor dem Kopf haben.
Leicht ist es nicht. Ein langer schwerer Anstieg mit großem Kettenblatt.

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