Die Brücke

Wie wir einander besser helfen können – ein Gastbeitrag von John Rogers

Zwei alte Schwestern – Mitte 80 – schuften noch, um durchzukommen. Der Ehemann der einen ist schon vor 15 Jahren gestorben. Alles geht langsam kaputt und wird nicht mehr repariert. Die Schwestern beschweren sich nicht, dass sie den Rasen mit einer Schere mähen müssen. Es ist teilweise gut, bis zum Schluss aktiv zu sein. Muss es aber so schmerzvoll sein?

Im selben Dorf leben jetzt 20 Flüchtlinge. Sie warten. Sie warten auf Asylanträge, sie warten auf Arbeitserlaubnisse, sie warten auf Busse, sie warten auf Deutschkurse. Viele laufen einfach herum, um sich die Zeit zu vertreiben. Manche sind sehr hilfsbereit. Sie wissen absolut nichts von den alten Schwestern und ihrem schweren Alltag.

Warum ist es so schwierig in unserer modernen Gesellschaft, die Energien von manchen frei zu setzen, um die Bedürfnisse von anderen zu befriedigen?

Wir leben im sogenannten Informationszeitalter. Auf Knopfdruck haben wir die ganze Welt direkt in unserer Reichweite. Jetzt beginnen manche, diese neuen Möglichkeiten anzuwenden, um Flüchtlingen zu helfen. Eine Liste von Internetkarten zeigt, wo Leute in ganz Deutschland sich engagieren. Hier in Hessen haben die zwei Sender ‚Hr3’ und ‚youfm’ das Projekt ‚People Like Me’ ins Leben gerufen, bei dem auch eine Karte mit Bedürfnissen und Angeboten im Mittelpunkt steht. Zusätzlich organisieren sich kleine Gruppen für Mitfahrgelegenheiten usw. durch „Apps“ wie „Whatsapp“, die von jedem Handy zugänglich sind.

Es ist wichtig und wunderbar, dass so viele Leute bereit sind, sich zu engagieren, um Flüchtlingen zu helfen. Aber viele Flüchtlinge sind nicht nur hilfsbedürftig sondern auch hilfsbereit. Auch sie wollen sich engagieren, arbeiten, helfen, mitmachen, sich integrieren.

Diese interaktiven Internetkarten sind ein guter Anfang, um eine „Brücke“ zwischen Flüchtlingen und Einheimischen und zwischen den Bedürfnissen und Angeboten von beiden Gruppen aufzubauen. Dann können die zwei alten Schwestern die benötige Hilfe bekommen, und die neuen Leute im Dorf bekommen die Gelegenheit ihnen zu helfen.

Hinter dieser Idee einer Brücke steckt noch viel mehr Potential. Stellen Sie sich vor, dass 50% der Bevölkerung in der Region ihre Bedürfnisse und Angebote über eine solche regionale Plattform anmelden würden. Wie viel mehr potentielle gegenseitige Hilfe für alle würde zum Vorschein kommen? Wie viele Leute wuürden mehr erledigen? Wie viele zur Zeit überlasteten Ehrenamtlichen würden sich ein bisschen entlasteter fühlen, wenn mehr Hilfe in der Gemeinschaft für alle möglichen Alltagsprobleme vorhanden wäre?

Eine Informationsplattform ist jedoch nur der erste wichtige Schritt. Information verbindet. Information ermöglicht. Aber Information allein reicht nicht immer, um zu motivieren. Das Mittel um zu motivieren schlechthin in unserer Gesellschaft heißt – Geld. Geld motiviert uns zu arbeiten. Geld hilft uns, Projekte zu realisieren. Geld ist wie Öl in der Maschinerie der Gesellschaft. Dazu ist Geld auch im Endeffekt eine besondere Form von Information über Tauschereignisse.

Geld ist leider nicht immer vorhanden, wo und wann es gebraucht wird. Obwohl wir ständig astronomische Geldsummen von Milliarden oder sogar Billionen für Bankrettungsaktionen in den Nachrichten hören, muss aus makroökonomischer Sicht und für die Mehrheit der Bevölkerung Geld knapp gehalten werden. Nur so, heißt es von den Ökonomen, kann die Wirtschaft gut funktionieren, der Wettbewerb gefördert und die Konjunktur angekurbelt werden.

Wie wäre es, unser eigenes „Geld“ zu schaffen, um Leute zu motivieren über die „Brucke“ zu laufen und anderen zu helfen?

Genau das haben weltweit über Jahrzehnte hinweg tausende von Projekten versucht. In Brasilien haben hunderte von solchen „lokalen Währungen“, sogar mit Unterstützung der Zentralbank, in ärmeren Vierteln durchgesetzt. Auch in einem der reichsten Länder der Welt, nämlich der Schweiz, hat die „WIR Bank“ seit über 80 Jahren hinweg den kleinen und mittelständischen Unternehmen ein zusätzliches Zahlungsmittel zur Verfügung gestellt. Nicht zuletzt hat seit 2003 in der Region um den Chiemsee in Bayern „Der Chiemgauer“ einen kleinen und wichtigen Beitrag zur lokalen Wirtschaft und Gemeinschaft geleistet.

Warum geben sich solche Projekte so viel Mühe, um ein „Zweitgeld“ in einer Region zu etablieren? Es gibt verschiedene Auswirkungen einer zweiten, parallel agierenden Währung, die Menschen ermutigen sich dafür zu engagieren.

Erstens, sie kann gegen die „Nebenwirkungen“ des gewöhnlichen, auf Konkurrenz basierenden Geldes wirken. Sie fördert Zusammenarbeit. Sie lässt die Kaufkraft in der Region, anstatt aus der lokalen Wirtschaft auszutreten. Sie arbeitet nicht „gegen“ Geld, sondern funktioniert als Gegenpol zu den negativsten Auswirkungen des globalisierten Finanzsystems.

Zweitens, sie hat verschiedene Vorteile für unterschiedliche Gruppen. Für kleinere Betriebe gewinnt sie neue Kunden, die die regionale Wirtschaft unterstützen wollen und zusätzlich schafft sie ein besseres Image für das Geschäft. Für Vereine und ähnliche Organisationen unterstützt sie deren Arbeit und zieht neue Ehrenamtliche an. Für Kommunen kann sie die öffentlichen Dienstleistungen unterstützen. Für Kunden und Bürger bietet sie neue Möglichkeiten an, sich für die Region und für anderen zu engagieren bzw. Gegenleistungen zu bekommen.

Drittens, die Wertebasis des regionalen Geldes ist anders als die des globalisierten, das (fast) keine Grenzen sieht oder zieht. Grenzen können bedrückend oder befreiend sein. Absichtlich vereinbarte Grenzen sind nicht unbedingt eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Unsere Gesellschaft basiert auf Grenzen: Gesetze und gemeinsame Regeln für Beziehungen aller Art sind normal und akzeptiert. Nur im Bereich des Geldes heißt es, dass so wenige Beschränkungen wie möglich für den freien Kapitalverkehr optimal sind.

Eine Währung mit regionalen oder anderen vereinbarten Grenzen kann paradoxerweise viele unterbenutzte Ressourcen und Energien freisetzen, die sonst ungenutzt schlummern, nur weil die Marktwirtschaft kein Gewinn daraus machen kann. Das reduziert die Verschwendung von Ressourcen und ist wiederum ein Gewinn für die Wirtschaft, für die Umwelt und für die Gesellschaft denn es fördert mehr Effizienz im Umgang mit Ressourcen in denen schon investiert geworden sind.

Man sollte allerdings nicht unterschätzen, wie viel Engagement und Durchhaltevermögen benötigt werden, um ein solches Projekt zu realisieren. Die wenigen regionalen Währungen, die schon über Jahrzehnte existieren, sind eher die Ausnahme und sind das Ergebnis hervorragender Führung und Zusammenarbeit. Schon vor ein paar Jahren gab es im Fuldaer Raum einen Versuch, ein solches Projekt zu realisieren, die Buchone. Die Zeit war jedoch damals nicht reif.

Bevor man eine regionale Währung einführt, muss man zuerst die nötige Vorbereitungsarbeit in Gemeinden, Kommunen und Betrieben machen und eine Plattform für Bedürfnisse und Angebote aufbauen, sonst wird die Mühe sich kaum lohnen und die potentiellen Vorteile einer regionalen Währung sich nicht realisieren lassen. Dafür braucht man eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus der Wirtschaft, aus der lokalen Politik und aus dem ehrenamtlichen Bereich. Die Hauptaufgabe dieser Gruppe ist, einen Entwicklungsprozess durchzuführen, in dem man nicht nur Leute inspiriert mitzumachen, sondern auch konsequent alle möglichen Gestaltungsmöglichkeiten für die Plattform und Währung durcharbeitet.

Vielleicht ist die Flüchtlingskrise eine große Chance, die Idee einer solchen regionalen „Brücke“ für Hessen aufzubauen, die Menschen jeden Hintergrunds, aus jeder Schicht und jedem Bereich inspirieren und motivieren kann. Wie der Sänger Xavier Naidoo es schön ausdrückte: „Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen.“

John Rogers arbeitet als Autor und Berater für regionale Währungen und ist als freiberuflicher Dozent an der Hochschule Fulda tätig.

Mehr im Internet: www.valueforpeople.co.uk

 

Screenshot: Facebook-Post von „Tabea Bü“ vom 20.12.15

Screenshot: Facebook-Post von „Tabea Bü“ vom 20.12.15