Die größte WG Fuldas
Der deutschen Flüchtlingspolitik fehlt es an Weitsicht. Die Menschen, die vor Leid und Verfolgung geflohen sind, werden hierzulande systematisch isoliert, statt integriert. Der europäischen Abschottungspolitik nach außen folgt eine deutsche Ausgrenzungspolitik im Inneren. Dies führt zu großem Leid bei Betroffenen und es werden Chancen für alle Beteiligten verschwendet. Die Welcome In(itiative) Fulda, kurz Welcome In, stellt dieser negativen Haltung einen positiven Ansatz entgegen und setzt sich aktiv dafür ein, Asylbewerber/innen mit offenen Armen zu empfangen.
Haben Sie schon einmal in einer WG gewohnt? In einer Dreier-, vielleicht in einer Vierer-WG? Diese Form des Zusammenlebens erfährt in Deutschland eine große Popularität. Durch das Internet kann man gezielt nach vermeintlich „passenden“ Mitbewohner/innen suchen. Das bringt viele – nicht nur finanzielle – Vorteile für alle Beteiligten. Doch gibt es wohl kaum eine WG, in der es nicht auch schon zu Streitereien gekommen wäre. Wer macht den Abwasch? Wer putzt was und wann? Wie laut darf welche Musik zu welcher Uhrzeit sein? Sobald Menschen eng zusammenleben gibt es ein Konfliktpotenzial.
In Fulda gibt es eine sehr große WG. Eine interkulturelle, eine vielfältige WG. Eine WG mit mehr als hundert Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, in der etliche verschiedene Sprachen gesprochen werden. Eine WG, in der Menschen sich nicht „zusammengefunden“ haben, sondern in die sie unfreiwillig hineingesteckt wurden und in der sie teilweise zu viert in einem Zimmer wohnen. Durchschnittlich sechs Quadratmeter stehen hier jeder Person zu. Viele der Menschen in dieser WG haben in der Vergangenheit Furchtbares erlebt und sind schwer traumatisiert. Diese WG nennt sich „Gemeinschaftsunterkunft“ und sie steht in der Frankfurter Straße. Hier wohnen Asylbewerber/innen, einige von ihnen seit mehreren Jahren. Viele von ihnen kennen niemanden aus Fulda und den meisten ist es gesetzlich verboten, sich hier eine Arbeit zu suchen. Auch einen gesetzlichen Anspruch auf Deutschkurse haben nur wenige. Man muss kein/e Expert/in sein, um zu erkennen, dass in einer solchen WG ein ungemein großes Konfliktpotenzial herrschen muss.
Etwa 800 Asylbewerber/innen leben derzeit im Landkreis Fulda. Die große Mehrheit von ihnen lebt in Gemeinschaftsunterkünften, nur etwa 100 sind dezentral in kleineren Wohneinheiten untergebracht. Zwangs-WGs dieser Art finden sich zu hunderten in Deutschland. Sie sind die praktische Konsequenz der deutschen Flüchtlingspolitik, die eher einer Isolationspolitik gleicht. Die Menschen finden ausgehend von einer solchen Unterbringungssituation kaum Anschluss an die Gesellschaft. Dabei bringen sie ein riesiges Potenzial mit sich. Sie haben einen starken Willen an den Tag gelegt und gewaltige Risiken in Kauf genommen, um hierher zu kommen und sich ein neues Leben aufzubauen. Sie könnten eine unschätzbare Bereicherung für diese Gesellschaft sein. Statt dieses Potenzial zu erkennen und die Menschen zu fördern, erfahren sie systematische Ausgrenzung. Die meisten von ihnen werden gegen ihren Willen wieder abgeschoben. Es ist dies eine klassische lose-lose-Situation.
Der Widerstand gegen diese Politik wächst stetig an. Überall sprießen Flüchtlingsinitiativen aus dem Bo- den, die sich dafür einsetzen, Asylbewerber/innen willkommen zu heißen – auch in dieser Region. Eine dieser Bewegungen ist die Welcome In(itiative) Fulda.
Die Gruppe besteht aus aktiven Menschen aller Altersklassen aus der Region Fulda, die den direkten Kontakt zu den Asylbewerber/innen suchen.
„Unser Ziel ist, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, sie willkommen zu heißen und voneinander zu lernen.“, erklärt eine Welcome In-Aktive. Ausgehend von diesem positiven Ansatz erfolgte im Januar dieses Jahres auch die Umbenennung der Initiative, die vorher unter dem Namen „Save Me Fulda“ bekannt war. In Begegnungen mit den Menschen aus den Gemeinschaftsunterkünften wurde schnell deutlich, vor welch großen Schwierigkeiten diese im Alltag stehen. Durch diesen Austausch entstanden Ideen, wie man zur Behebung dieser Probleme beitragen könnte. Daraus entwickelten sich vielfältige Projekte, die selbstständig und ehrenamtlich durchgeführt werden. Wohl das wichtigste Welcome In-Projekt sind die Deutschkurse, die mehrmals in der Woche in Fulda, Hünfeld und Steinbach auf verschiedenen Niveaustufen angeboten werden. Darüber hinaus haben sich in der Initiative viele Kleingruppen zusammengefunden, die in Eigeninitiative ständig neue Aktivitäten starten. So wird in Kooperation mit der Hochschule ein Sportseminar angeboten und es gibt regelmäßig Freizeitangebote wie Stadttouren, Picknicks oder Kunstveranstaltungen. Eine Gruppe von Teilnehmerinnen kümmert sich im Rahmen eines Frauenprojektes ausschließlich um die Bedürfnisse von Frauen in den Unterkünften, und in einem „Mittwochscafé“ können sich die Asylbewerber/innen mit allen denkbaren Fragen an die Gruppe wenden. Abgesehen davon betreiben die Aktiven Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel in Form von Infoabenden, Podiumsdiskussionen oder Filmvorstellungen, durch die über die Situation von Geflüchteten aufgeklärt und neue Mitglieder gewonnen werden sollen.
Mit ihren Projekten hat die Gruppe schon vieles erreicht und wurde kürzlich für ihr Engagement von der Caritas sogar mit dem Elisabeth-Preis ausgezeichnet. Viele grundlegende Probleme, die unter anderem durch die Sammelunterbringung von Asylbewerber/innen entstehen, kann aber auch zivilgesellschaftliches Engagement nicht beheben. Dafür benötigt es ein Umdenken in Politik und Gesellschaft und den Willen, zum Vorteil Aller eine echte Willkommenskultur für Geflüchtete zu schaffen.
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Wer sich bei der Welcome In(itiative) Fulda engagieren möchte kann an deren zweiwöchigen Gruppen- sitzungen (in ungeraden Kalenderwochen, mittwochs um 19.45 Uhr in der „Brücke“, Löherstraße 37) teilnehmen.
Alternativ gibt es die Möglichkeit, sich gezielt in einzelnen Projekten einzubringen. Bei Interesse oder Fragen kann man sich per E-Mail (save-me-fulda@googlegroups. com) oder Facebook (www.facebook.com/save.me.fulda) direkt an die Gruppe wenden.
[…] In der aktuellen Ausgabe der AGORA findet sich ein Gastbeitrag unserer Initiative, der sich vor allem mit der Unterbringungssituation von Geflüchteten in Fulda und Umgebung auseinandersetzt. Ihr könnt ihn unter folgendem Link abrufen: http://www.agora-fulda.de/die-groesste-wg-fuldas/ […]
Freue mich auf die Begegnung mit der Gruppe am 22.Jan.
K a t h i a B ö s c h e n