Kreuz-Zeichen

Kreuz-Zeichen

In einer Demokratie kommt es darauf an, das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen

Grüne Kreuze auf den Äckern, Trecker-Demos in vielen Städten: In Berlin mobilisierte der Deutsche Bauernverband (DBV) Ende November 2019 rund 10.000 Landwirte, die mit ihren teils sündhaft teuren Schleppern ihren Protest gegen die Ankündigungen zur Agrarreform von CDU Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zum Ausdruck brachten. Auch Bauern rund um Fulda schließen sich der Aktion an. Auf Feldern rund um die Stadt stehen vereinzelt grün gestrichene Holzkreuze. Am 18. Dezember folgten einige von ihnen dem Aufruf der frisch gegründeten Bewegung „Land schafft Verbindung“ und fuhren mit einem Traktorenkonvoi durch die Innenstadt, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich durch das sogenannte Agrarpaket der Bundesregierung in ihrer Existenz bedroht sehen. Mit ihren Aktionen wollen sie sich zudem gegen Verunglimpfungen und ein schlechtes Image wehren.

Eine Gesellschaft unter dem Joch von Glyphosatan – der Personifizierung der chemischen und industriellen  Landwirtschaft. Wie lange noch? (Imme als Download unter dem folgende Link: Druckvorlage IMME) Foto: AGORA (CC-BY-SA 4.0)

Nein, so geht es nicht weiter! Wieso soll jetzt auf einmal ausgerechnet die Landwirtschaft für die Klimakatastrophe, Bienensterben und hohe Nitratwerte im Trinkwasser zur Verantwortung gezogen werden? 

Die Landwirte inszenieren sich als Opfer der Agrarpolitik. Dass sie dazu auf das Symbol des Kreuzes zurückgreifen, ist nichts Neues im Repertoire der Protestsymbolik. Es stellt sich aber angesichts der dramatischen Auswirkungen die eine, großindustriellen Maßstäben nacheifernde Landwirtschaft auf Klima und Artenvielfalt hat, schon die Frage, wer oder was hier tatsächlich den Opfertod am Kreuze stirbt.

In den letzten Jahrzehnten wird, sei es auf Bundes- oder EU-Ebene, eine Landwirtschaftspolitik betrieben, die Bauern bis heute immer wieder vor die Wahl stellt, weiter zu investieren und sich immer höher zu verschulden, oder aufzugeben: „Wachsen oder weichen!“ ist die Maxime. Diese Politik zeitigt enorme Erfolge: Die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Menschen sinkt zusehends. Ein wenig mehr als 1% der Erwerbstätigen in Deutschland finden hier Arbeit. Was allerdings steigt, ist die Effizienz. Sie scheint nötig, um dem Preisdruck des Weltmarktes standzuhalten. Trotzdem ist kein Wirtschaftssektor so abhängig von der Staatskasse, wie die Landwirtschaft. Für konventionelle Landwirte sind staatliche Subventionen eine wesentliche Säule ihrer Betriebseinnahmen. 

Zu den größten Subventionsempfängern im Landkreis Fulda gehört beispielsweise ein Milchviehbetrieb in Hofbieber. Er bekommt pro Jahr fast 300.000 € Zuschüsse aus Steuermitteln. Auf einer Fläche von knapp 200 ha hält er mehr als 200 Kühe. Die Förderung richtet sich im Wesentlichen nach der Größe des Hofes und Anzahl des Viehs.  Man kann leicht erschließen, wie viel Geld ein Betrieb z.B. in Niedersachen bekommt, mit tausenden von ha.  Kann die Gesellschaft, die so viele finanzielle Mittel den Landwirten gibt, dann nicht auch Forderungen stellen und erwarten, dass Klima-, Trinkwasser- und Artenschutz im Vordergrund stehen?

Die Subventionen dienen seit Jahrzehnten in erster Linie dazu, die Preise für Lebensmittel immer weiter zu drücken. Besonders auch damit diese dann, anders als von der grünen Kreuz Bewegung behauptet, immer weniger für den Bürger von Nebenan, sondern in immer größerem Umfang für den globalen Markt produziert werden. 2018  z.B. wurden Lebensmittel im Wert von 59,5 Milliarden Euro exportiert. 33 Prozent des Branchenumsatzes. 

Die Industrie verdient gut an den Fördermitteln der Landwirte. Sie sind die Melkkühe von Saatgut-Konzernen, der agrochemischen Industrie, welche ihnen Dünge- und Spritzmittel verkauft, von Versicherungs- und Kreditanstalten und nicht zuletzt von Landmaschinenproduzenten, die ihnen immer teurere und immer weniger selbst reparierbares Hightech-Equipment als Statussymbole im Hochpreissegment andreht. Wer sich heute unter Jungbauern umhört, wird kaum jemanden finden, der den Beruf aufgrund seiner Faszination für die Natur ergreift. Feuchte Augen bekommen sie in aller Regel auf Landmaschinenmessen und die meisten wissen weit mehr Einzelheiten über Traktorenmodelle, als über die Pflanzen- und Tierarten, die auf ihren Äckern und Wiesen vorkommen. Wer einen Hof erbt, erbt dabei häufig eine Ideologie der Altvorderen mit, welche dem Credo folgt, dass es ohne Spritzmitteln nun einmal nicht geht. Noch immer halten die meisten konventionellen Landwirte „Bio für Blödsinn“. Dass sie sich nun in der Öffentlichkeit mit ihren grünen Kreuzen als Bewahrer der Schöpfung generieren wollen, scheint zynisch. Obwohl es stimmt, dass durch technische Entwicklungen und strengeren Verordnungen Erfolge beim Tierwohl erzielt wurden und der Einsatz von Spritz- und Düngemitteln tendenziell rückläufig ist, ist in der Sache kaum etwas gewonnen. Auch das Anlegen von Blühstreifen- so nett sie in der Landschaft aussehen mögen- hilft nicht wirklich weiter. Biologen zweifeln eher an ihrem Nutzen für bedrohte Arten. Noch immer glaubt man seitens der Interessensvertretung der Bauernschaft daran, dass im Prinzip alles so weiter gehen soll, wie bisher: Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt und Ausrichtung auf den Export. Die Abhängigkeit von global agierenden Saatgut- und Agrar-Chemiekonzernen wächst.  

Es ist gerichtlich anerkannt, dass Glyphosat tötet. Der Bayerkonzern hat durch diese Urteile innerhalb eines Jahres die Hälfte seines Wertes verloren.  Und dennoch ist der Aufschrei einiger Landwirte groß, wenn sie nun die Finger von diesem Gift lassen sollen.

Bild: AGORA (CC-BY-SA 4.0)

Wenn Glyphosat irgendwann verboten wird, steht bei Bayer und Co schon die nächste Generation giftiger Substanzen bereit zum Einsatz. Das „glyphosatanische“ Prinzip bleibt das Gleiche: Wegspritzen statt wachsen lassen. Wo Gift allein nicht weiterhilft, kommt Gentechnik ins Spiel. Oder es wird beides perfide miteinander verbunden.

Mit den jüngsten, gemessen an der zu erwartenden Wirkung doch eher zaghaft anmutenden Ankündigungen zur Agrar-Reform, soll der Einsatz von Unkraut- und Schädlingsgiften stark eingeschränkt werden. Damit soll insbesondere dem dramatischen Sterben von Insekten Einhalt geboten werden. Stellvertretend dafür steht die Biene, die Sympathieträgerin aus dem Stamm der Gliederfüßer. Doch Ackergifte sind nicht die einzige Ursache für das dramatische Artensterben. In Böden und im Grundwasser werden an vielen Orten viel zu hohe Nitratwerte gemessen. Die Ursache dafür ist in aller Regel Überdüngung. Hohe Stickstoffwerte gehören, neben der Lichtverstrahlung in Deutschland zu den Hauptgründen für das Aussterben seltener Insektenarten.

Bei den meisten Menschen weckt der Tod von Insekten kein Mitleid. Dabei stehen sie am Anfang der Nahrungskette und die systemischen Folgen sind nicht vorherzusehen. Die Krabbeltiere sind eben keine Pandabärchen. Doch mit Argumenten der Vernunft allein ist bisher kaum Staat zu machen, wenn es Menschen nicht direkt betrifft. 

Eine zu hohe Nitratkonzentration ist aber auch für die Gesundheit des Menschen schlecht, besonders für Säuglinge. In fast einem Drittel der Regionen Deutschlands werden die Grenzwerte von 50 mg Nitrat pro Liter überschritten. Ein Trinkwasserbrunnen in Großenlüder liegt nur knapp darunter, in einer Reihe von anderen Regionen wird er um ein Vielfaches überschritten. So gesehen ist es richtig, dass die EU auf die Einhaltung der Grenzwerte besteht und bei Verstößen hohen Strafzahlungen verhängt. Vertreter der Landwirtschaft reagieren wenig einsichtig. Stattdessen zweifeln sie an, ob die Messwerte stimmen und verlangen eine größere Dichte an Messpunkten. Diese Forderung macht deutlich, wie sehr es den Interessensverbänden der konventionellen Landwirtschaft an Einsicht mangelt und wie wenig überzeugt sie von der Notwendigkeit einer grundlegenden Agrarwende sind. 

Es gibt bereits gute Alternativen, die dafür seit Jahrzehnten den Boden bereitet haben. Viele Bio-Landwirte, die mit der Natur, nicht gegen sie arbeiten wollen, stellen täglich unter Beweis, dass auch sie davon leben können. Auch die Welternährung wäre allein durch Biobetriebe sichergestellt. Zu diesem Schluss kommt eine Gruppe von Wissenschaftlern der Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen. Dazu müsste allerdings auch die enorme Verschwendung an Lebensmitteln aufhören, die wir uns derzeit leisten. Jeder von uns könnte in unserer Region eine Form der Landwirtschaft unterstützen, die wirklich nachhaltig wirtschaftet. Doch leider verlangen hierzulande derzeit noch zu viele Konsumenten nach möglichst billigen Lebensmitteln. Es ist ihnen relativ gleichgültig, woher diese kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden. Aber was hilft es dem Bienchen, wenn wir die Verantwortung von der Politik zu den Landwirten, von diesen zum Handel, vom Handel zum Verbraucher und vom Verbraucher auf die Politik schieben. Immer wieder wird in der politischen Auseinandersetzung um dieses Thema auf Nebenschauplätze ausgewichen, sich in Details verbissen oder Scheingefechte geführt. Eine Agrarwende, die ihrem Namen Ehre macht, muss daher das ganze System durchdringen. Es geht um die Bewahrung der Vielfalt des Lebens auf unserem wunderbaren Planeten. Wenn wir schon einen Kreuzzug anzetteln müssen, dann einen, an dessen Ende unsere Steuergelder ausschließlich in eine Form der Landbewirtschaftung fließen, die nachweislich unsere Lebensgrundlagen samt ihrer Vielfalt an Lebensformen respektiert. Erst dann dürfen wir sagen: „Es ist vollbracht!“

 

 

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