Life is education - Neues von Bisrat (Teil 3)

Life is education – Neues von Bisrat (Teil 3)

 

Unser Mitbewohner Bisrat (32), vor rund drei Jahren aus Eritrea geflüchtet, macht eine schwere Zeit durch. Dabei lief es zuletzt doch so gut. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland konnte er Anfang des Jahres die Gemeinschaftsunterkunft verlassen und bezog ein Zimmer in unserer WG. Nach 2 ½ Jahren Wartezeit im Sommer dann endlich das Ende seines Asylverfahrens und das Ende der Unsicherheit. Erleichtert und stolz hielt er seinen Ausweis und seine Arbeitserlaubnis in den Händen. Jetzt konnte es losgehen mit dem Aufbau seines neuen Lebens hier. Die Ausländerbehörde gab die Zuständigkeit an das Kreisjobcenter ab und Bisrat freute sich. Jobcenter – das klang nach Arbeit, sein großes Ziel.

Zum Termin bei seiner Vermittlerin begleite ich ihn als Übersetzungshilfe.

Bisrat hat sein bestes Hemd angezogen und seine Zeugnisse und andere Unterlagen säuberlich in Klarsichthüllen verpackt mitgebracht. Er will endlich arbeiten und sein Geld selbst verdienen. Doch seine Jobvermittlerin interessiert sich nicht für sein Hemd, nicht für seinen Schulabschluss und nicht für das VHS-Zertifikat über den Kurs „Anwendung von MS Office“. Für seinen Wunsch, „mit Computern“ zu arbeiten hat sie nur ein müdes Lächeln übrig.

Überhaupt werde sie ihm jetzt keine Arbeit vermitteln, auch keine Ausbildung. Jetzt sei erstmal wichtig, dass Bisrat seine Pflichten als Leistungsempfänger verstehe. Er habe jetzt einen Vertrag mit dem Jobcenter, Verstöße gegen den Vertrag führten zu Leistungskürzungen. Ob er das verstanden habe? Und ganz wichtig: Er müsse sich abmelden, wenn er die Stadt verlasse, auch wenn er nur übers Wochenende zu einem Freund nach Frankfurt fahre. Dafür gebe es ein Formular, welches man wiederum nur persönlich und unmittelbar vor der geplanten Fahrt abholen und dann wieder einreichen könne. Die junge Sachbearbeiterin will es richtig machen, sich und vielleicht auch ihn absichern. Sie zählt die Paragrafen auf, spricht von ortsgebundenen Leistungen und rechtsgültigen Verträgen. Bisrat ist verwirrt. Warum kann er nicht einfach jemanden besuchen fahren? Ist er nicht hergekommen, um frei zu sein? Und warum spricht sie nicht mit ihm über Arbeit? Bisrat schwirrt der Kopf, mir auch.

Nachdem die Formalitäten geklärt sind, versucht er es erneut: Bitte, helfen Sie mir, Arbeit zu finden, egal was. Ich bin müde vom Warten. Nur mühsam kann er seinen Ärger und seine Enttäuschung unterdrücken. Oder vielleicht eine Ausbildung in der Altenpflege, das kann er sich auch vorstellen.

Wieder schüttelt die Vermittlerin den Kopf, jetzt schon leicht entnervt.

Sein Schulabschluss nütze ihm hier nichts und sein Deutsch sei zu schlecht. Solange das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) noch seinen Sprachkurs bezahle, solle er den einfach weitermachen und sich in einem halben Jahr nochmal bei ihr melden, dann könne man ja weiter sehen. Alles andere mache zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn. Ich frage, was mit den ganzen Programmen und Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt sei, von denen man jetzt so höre und lese. Komme da nicht etwas in Frage? Die Vermittlerin verneint, sie hat Bisrat nichts anzubieten. Wir verlassen die Behörde, Bisrat mit einer geplatzten Hoffnung, ich mit einem fast geplatzten Kragen – das war alles nicht sehr hilfreich. Was nun?

Bisrat ist unruhig in diesen Tagen, telefoniert Tag und Nacht, schläft wenig, ist schlecht gelaunt und reizbar, schweigt. Überlegt, ob es in Frankfurt oder Köln vielleicht besser wäre.

Er ist frustriert und wir sind es auch. Wir wissen nicht, wie wir ihm helfen sollen. Vielleicht lernt er nicht hart genug Deutsch, vielleicht hat er zu hohe Erwartungen, vielleicht ist er für den deutschen Arbeitsmarkt wirklich nicht geschaffen, vielleicht wäre er besser zu Hause geblieben…

Das denkt Bisrat selbst manchmal auch. Er sagt: „Wenn ich gewusst hätte wie schwer es wird, hier Arbeit zu finden, wäre ich nicht gekommen.“ Ich frage, was seine Alternative gewesen wäre, denn in Eritrea wurde er ja vom Militärregime verfolgt. „Saudi-Arabien vielleicht, Dubai, Katar“, überlegt Bisrat, „dort spräche ich wenigstens die Sprache. In Saudi Arabien könnte ich mit ein bisschen Glück vielleicht richtig viel Geld verdienen. Aber ich wäre dort nicht frei. Weißt du, ich habe seit einer Weile nicht mehr gebetet. Ich zweifle, ich bin wütend. Hier in Deutschland ist das meine persönliche Angelegenheit, ich kann das mit mir selbst und mit Gott abmachen. Wenn ich in Saudi-Arabien die Gebetszeiten nicht einhalte und mich nicht regelmäßig in der Moschee blicken lasse, kommt die Polizei, vielleicht verliere ich meine Arbeit deswegen oder muss sogar ins Gefängnis. Ich könnte auch nicht so zwanglos mit Frauen meine Zeit verbringen, so wie mit euch, mir meine Freunde nicht selbst aussuchen und so weiter. Die Freiheit hier ist mehr wert als das Geld dort.“

Bisrat besucht jetzt an fünf Vormittagen in der Woche einen Deutschkurs. Zu Hause schaut er Selbstlern-Videos und deutsches Fernsehen, schreibt wie wild Hefte voll mit Vokabeln und Grammatikregeln, aber die Worte bleiben nicht in seinem Kopf. In seinem Kopf, da sind tausend andere Dinge. Die Familie zu Hause macht Druck. Warum schickt er nicht mehr Geld? Warum hat er noch keine Arbeit, keine eigene Wohnung? Ist er im Westen etwa faul geworden? Wann kann seine Frau nachkommen? Bisrat erzählt, dass sich in seiner Heimat niemand vorstellen kann, wie es schwer für ihn ist, überhaupt irgendeine Arbeit zu finden. Dass man hier nicht einfach als Tagelö hner anheuern kann und sofort Geld auf die Hand bekommt. Und dass die staatliche Unterstützung von der er im Moment lebt gerade so für sein tägliches Leben reicht.

Auf Facebook zeigt er mir Selfies von jungen Geflüchteten, die neben einem teuren BMW oder vor einem schicken Haus posieren. Die Familien zu Hause sollen stolz auf sie sein, sollen glauben, dass sie es hier schon geschafft haben und dass es ihnen gut geht. Dass es nicht ihre Autos und nicht ihre Häuser sind, vor denen sie da stehen, davon posten sie nichts. Auch nichts vom tristen Alltag in der Sammelunterkunft, den viele von ihnen aus Mangel an Beschäftigung die meiste Zeit schlafend verbringen und nichts von der Kompliziertheit deutscher Behörden und den harten Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes.

Bisrat postet: „Wenn du Geld willst, komm nicht her. Aber das Leben ist frei.“

Zwei Monate später, Oktober. Der Sprachkurs gibt Bisrats Tagen eine Struktur. Die aufgeregten Telefonate mit seine Familie sind weniger geworden. Seine Frau konnte endlich ihren Antrag auf Nachzug in der deutschen Botschaft von Katar einreichen. Jetzt heißt es wieder warten, Bisrat kann nichts weiter tun. Er betet wieder, kocht, bekommt hin und wieder Besuch von Mitschülern aus seinem Sprachkurs. Staubsaugt die Wohnung einmal mehr als nötig und pfeift dabei, es ist etwas zu tun. Am Wochenende fährt er mit uns Fahrrad oder geht spazieren, abends der Tatort. Was man halt so macht an einem deutschen Sonntag. Sein Deutsch wird langsam besser, unser Arabisch nicht.

Bisrat ist jetzt seit drei Jahren in Deutschland, seit 10 Monaten bei uns. Fast nichts ist so, wie er es sich vorgestellt hatte. Doch er gibt niemandem die Schuld und hofft weiter. Ich bewundere seine Geduld und sein Gottvertrauen. „Life is education“, mit dieser Weisheit bringt er sich durch die schwierigen Phasen, wenn nichts voran zu gehen scheint. Und ich denke, gut, dass er bei uns ist. Leben heißt lernen.