Lucky Strejk!

 

Wir selbst sind die, auf die wir gewartet haben.

 „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ „Es gibt keinen Planeten B!“ „Like the sea level we rise!“
Solche und andere kreativ-freche Sprüche konnte man am 15. März und am 24. Mai 2019 auf den Schildern streikender Schüler*innen auf dem Uniplatz in Fulda lesen. Seit dem 20. August 2018 bleiben weltweit massenhaft Kinder und Jugendliche nach dem Vorbild der damals 15jährigen Schwedin Greta Thunberg immer wieder Freitags dem Unterricht fern – unerlaubt.

Statt Mathe zu büffeln, gehen sie für den Klimaschutz auf die Straße. Sie protestieren mit ihrem Streik gegen die Untätigkeit von Politik, Gesellschaft und Industrie im Kampf gegen den Klimawandel. Unter dem gemeinsamen Slogan „Fridays For Future“ ist aus vielen Einzelaktionen in kurzer Zeit eine globale Protestbewegung von Kindern und Jugendlichen in 110 Ländern geworden. Die Bewegung ist so weltumspannend wie der Klimawandel selbst, auch daraus ziehen die Schüler*innen ihre Kraft und ihren Mut zum zivilen Ungehorsam. Zuletzt mobilisierten sie am 24.05.2019 allein in Deutschland mehr als 300.000 Teilnehmende. Auch in Fulda fand an diesem Tag die zweite Fridays For Future Kundgebung statt.

Zwei der Teilnehmenden waren in der Redaktion zu Gast, und haben mit der AGORA über ihre Beweggründe gesprochen, sich den Aktionen anzuschließen und den Schulbesuch für diese Zeit zu verweigern.

Tim (16), Schüler der Winfriedschule hatte bei der ersten Kundgebung auf dem Uniplatz im März 2019 in Fulda eine Rede gehalten. Er mag es, vor großen Gruppen zu sprechen. Auch in der Redaktionssitzung fällt es ihm leicht, seine Gedanken zum Ausdruck zu bringen, und auf Fragen klare, unverstellte Antworten zu geben. Eine Fähigkeit, die viele der aktuell in Talk-Shows und Politrunden geladenen jungen Aktivist*innen den Politprofis voraus zu haben scheinen.

Lysander (16), Loheland-Schüler, ist etwas zurückhaltender, überrascht aber mit pointierten Kommentaren und aufmerksamen Beobachtungen.

Auch Greta Thunberg imponiert mit ihrer Art, die Dinge eindrücklich auf den Punkt zu bringen – auch vor großem und vermeintlich kompetentem Publikum, wie beim UN-Klimagipfel oder dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Trotzdem versuchen manche Erwachsene, das Engagement und die Forderungen der Schülerin als infantil und wenig ernst zu nehmend zu degradieren.

Tim meint dazu: „Das Greta Bashing (Bashing = Niedermachen) finde ich unausstehlich. Genauso wie diese Anmache von Lindner, Klimaschutz lieber den Profis zu überlassen. Oder die Forderung der AFD, Schüler, die streiken mit Polizeigewalt in die Schule zu bringen. Ich denke, diese Leute haben die Botschaft von Greta nicht verstanden: Die Jugend verzichtet auf Bildung, weil diese den Erwachsenen so wichtig ist. Genauso wie die Erwachsenen auf die Zukunft verzichten, die den Jugendlichen wichtig ist. Für mich ist Greta wirklich eine Inspiration.“

Fehlstunden kann man verkraften, den Klimawandel nicht!

Die streikenden Schüler*innen sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, die Freitagsdemos nur als Vorwand zum Blaumachen zu nutzen.

Welche Rückmeldungen hat Tim zu seinem Auftreten bei der Demo erhalten?
„Die Schüler waren begeistert, die Lehrer gespalten. Die einen fanden mein Engagement gut, die anderen dachten, es wäre pures Schuleschwänzen. Einige Lehrer haben mich bei meiner Aktion unterstützt. Ich hätte aber auch damit rechnen müssen, und hätte das auch bewusst in Kauf genommen, wenn mir meine Demoteilnahme unentschuldigte Fehlstunden eingebracht hätte.“ Hätte er eine Entschuldigung von seinen Eltern angenommen?

„Wenn es eine ehrliche Entschuldigung wäre, also, wenn drin stände, dass ich auf die Demo gehen darf, dann ja, eine Krankmeldung hätte ich nicht akzeptiert.“

Über den Umgang mit den Fehlstunden wird vielerorts kontrovers diskutiert. Ein Ansatz verfolgt die Idee, die Fehlstunden im Zeugnis mit einem Zusatz zu versehen, der auf das politische Engagement der Schüler*innen verweist.

Bei Bewerbungen könnte dies dann durch- aus auch positiv bewertet werden. In der Praxis handeln sich die Schüler*innen bislang jedoch tatsächlich hauptsächlich einen negativen Zeugniseintrag ein – und nehmen dies bewusst in Kauf.

Für Tim ist klar: „Wir sind echt politisch aktiv. Und ich finde es wichtig, dass wir es während der Schulzeit machen, da wir so viel mehr Aufmerksamkeit für unser Anliegen bekommen. Piloten streiken ja auch in ihrer Arbeitszeit, sonst würde sich keiner drüber aufregen.“

Tim spricht ruhig und überlegt, wie jemand, der sich seiner Sache sehr sicher ist.
Ist da keine Wut, zum Beispiel auf die ältere Generation, die es in den Augen der Jugend bis jetzt verbockt hat? Auf die Leugner des Klimawandels oder die extremen Profiteure klimafeindlicher Wirtschaftszweige? Auch auf diese Frage antwortet der Schüler ohne Zögern: „Wut schafft nur Hass. Und Hass spaltet. Aber die Veränderungen die wir jetzt brauchen, können wir nur zusammen schaffen.“

Verfolgt man so manche Kommentare und Stellungnahmen in den Medien, scheint die Wut tatsächlich eher auf Seiten der Erwachsenen und der sogenannten Profis verortet, denen die redegewandten und hartnäckigen Schüler*innen so langsam mächtig auf die Nerven gehen.

Wie lange die Streiks noch andauern sollen, können die beiden Fuldaer Schüler schwer sagen: „Es gibt noch keine formulierten Hauptziele. Deshalb gibt es auch keinen Zeitpunkt, an dem dieses oder jenes erreicht ist und dann hören wir auf. Auf der anderen Seite, wenn jeden Freitag gestreikt wird, verliert die Bewegung vielleicht ihre Aufmerksamkeit. Deshalb ist es gut, ab und zu auszusetzen.“

Die Erkenntnis, dass Deutschland sein Klimaziele nicht erreichen wird, ging bereits vor einem Jahr durch die Medien. Politik und Öffentlichkeit nahmen dies relativ entspannt zur Kenntnis. Haben die jungen Leute eine Idee, warum es nicht früher einen Aufschrei gab?

Lysander erklärt sich das so: „Irgendwie erwartet man ja schon gar nichts mehr von der Regierung und nimmt solche Informationen dann so hin. Gegen diese Gleichgültigkeit einen Anfang zu machen ist schwierig, deshalb habe ich noch mehr Respekt vor Greta.“

Klima cooler machen

Lysander ist sich sicher, dass auch kleine Taten viel bewirken und das Klima schützen können: „Mehr Fahrrad und weniger Auto fahren, weniger Fliegen, weniger Fleisch essen, und sich nicht mit dem SUV von Mama zur Demo bringen lassen. Allerdings ist dies oft auch ein Vorwurf, der von den sogenannten alten weißen Männern kommt: Mach du erst mal alles richtig, Junge, dann machen wir das auch. Das ist natürlich ein gezielter Ansatz, die ganze Sache zu verlangsamen. Sie drehen das Ganze um, fragen eben nicht: Shit, was haben wir als alte Generation eigentlich alles falsch gemacht?“

Tim glaubt: „Um den Klimaschutz erfolgreich zu machen, muss das Ganze attraktiver werden oder besser, man muss zeigen, dass die Veränderungen eigentlich Spaß machen und cool sind. Tesla fällt mir da als Beispiel ein, die schaffen es, dass auch Leute, die eigentlich nichts mit dem Thema zu tun haben das Auto kaufen, weil es angesagt ist. Wenn wir unsere Anliegen in eine stabile Mitte bringen ist viel erreicht.“

Und was halten die beiden davon, sich partei- politisch zu engagieren? Tim: „Ich glaube, dass man auch außerhalb der Parteien was bewirken kann. Wir jungen Menschen sind politisch anders. Wir gehen auf Demos und engagieren uns, weil wir das Gefühl haben, dass es so schneller und direkter geht. Der Weg über Parteien ist oft frustrierend.“ Tatsächlich machen die Protestbewegungen rund um Greta sowie auch den Artikel 13 zum Urheberrecht die Kluft zwischen junger Bevölkerung und Parteiensystem deutlich. Die Jugend ist politisch. Sie ist aber nicht mehr parteipolitisch, sondern themenspezifisch politisch. Gerade umweltpolitische Themen, wie die Rettung der Bienen oder der Kampf gegen den Plastikmüll, sind bei Jüngeren sehr präsent und haben es zuletzt vor Allem durch anhaltenden Druck aus parteiunabhängigen Initiativen auf die parlamentarische Agenda geschafft.

Auch die Orientierungshilfen rechts und links alleine reichen nicht mehr aus, um die Stimme junger Menschen zu gewinnen, ebenso wenig wie eine kurzsichtige Politik, die nicht weit genug in die Zukunft der Jungen hineinwirkt.

Die beiden Schüler fänden daher eine Absenkung des Wahlalters gut. Oder auch die Idee, Eltern mehrere Stimmen zu geben, damit sie im Interesse der Zukunft ihrer Kinder abstimmen können. Vielleicht sei es Zeit, die Demokratie zu erneuern.

Ist es aus Sicht der beiden auch Zeit, das derzeitige Wirtschaftssystem zu erneuern? Kann eine Logik, die immer mehr Reichtum auf eine immer kleiner werdende Gruppe von Profiteuren vereint, Teil der Lösung der Klimakrise sein? Hier sehen Lysander und Tim verschiedene Aspekte. Tim sagt: „Ich glaube, dass Klimaschutz auch innerhalb unseres gültigen Wirtschaftssystems funktionieren kann. Menschen motiviert die Aussicht, selbst einmal zu den Wohlhabenden gehören zu können.“ Lysander befürchtet: „Wahrscheinlich würde es zu großen Unruhen kommen, wenn man das Wirtschaftssystem grundsätzlich infrage stellt. Die Zeit, die ein Systemwechsel kosten würde, haben wir nicht mehr. Uns bleiben nur noch zehn bis fünfzehn Jahre, um weltweit eine Vollbremsung beim Verbrauch fossiler Energien hinzulegen.“

Und wie wird es mit der Bewegung Fridays For Future weitergehen?

Tim vermutet, die Bewegung werde wieder abebben: „Es gibt kein vernünftiges Feedback aus der Politik. Viele Politikerinnen und Politiker probieren uns tot zu schweigen, in der Hoffnung, dass uns die Motivation für unsere Demonstrationen ausgeht. Andere greifen uns bewusst an (Lindner) und wieder andere loben unser Engagement (Merkel), um zukünftige Wähler nicht zu vertreiben. Alle verbindet aber eins, sie gehen nicht auf unsere Forderungen ein und hoffen, dass wir, auf welchem Weg auch immer, möglichst schnell wieder verschwinden, um möglichst wenig an dem Image der Parteien zu kratzen. Dabei sollten sie ihre Kraft eher darauf verwenden, gegen den Klimawandel zu kämpfen, statt gegen uns.“

Doch hier unterschätzt Tim vielleicht das aktivierende Potential der Bewegung. Längst haben sich renommierte Wissenschaftler*innen hinter die jungen Menschen gestellt. Unter anderem auf der Bundespressekonferenz am 12. März 2019 untermauerte die Generalsekretärin des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen, Frau Prof. Dr. Maja Göpel unter der Überschrift „Scientists For Future“ den dringlichen Appell der Schüler*innen mit Forschungsergebnissen aus zahlreichen verschiedenen Fachgebieten. Sie sprach dabei ausdrücklich repräsentativ für mehr als 12.000 weitere Wissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen und europäischen Raum, die sich dem Appell der Schüler*innen anschließen, den Klimawandel endlich entschlossen und gemeinsam zum Thema Nummer eins zu machen.

Damit das gelingt, braucht es mehr als die Streiks der Schüler*innen. Das wissen auch die jungen Menschen, die die Fridays For Future Bewegung bis hierher getragen haben.

Am 24. Mai 2019 veröffentlichte unter anderem die Süddeutsche Zeitung einen von 45 stellvertretenden Schüler*innen aus 17 Ländern verfassten Text, in dem sie unter anderem folgendes schreiben:

„Wir haben begriffen: Wenn wir nun nicht damit beginnen, für unsere Zukunft einzustehen, wird niemand anderes den Anfang machen. Wir selbst sind die, auf die wir gewartet haben… aber es kann nicht nur an uns hängen bleiben… Das ist keine Aufgabe für eine einzelne Generation. Das ist eine Aufgabe für die gesamte Menschheit. Deswegen ist dies unsere Einladung: Am Freitag, den 20. September 2019 werden wir mit einem weltweiten Streik eine Aktionswoche für das Klima beginnen. Wir bitten Sie, sich uns anzuschließen.

Es gibt in verschiedenen Teilen der Welt viele verschiedene Pläne für Erwachsene, sich zusammen zu schließen, Farbe zu bekennen und sich für unser Klima aus der Komfortzone herauszuwagen. Lasst uns diese Pläne zusammenbringen; gehen Sie an diesem Tag mit Ihren Nachbarn, Kollegen, Freunden auf die Straße, damit unsere Stimmen gehört werden und dies ein Wendepunkt in der Geschichte wird… jeder kann und muss mithelfen.

Während der französischen Revolution sind Mütter in Scharen für ihre Kinder auf die Straße gegangen. Heute kämpfen wir Kinder alleine für uns selbst, während so viele unserer Eltern damit beschäftigt sind zu diskutieren, ob unsere Noten gut sind, ob wir unsere Ernährung umstellen sollten oder was im „Game of Thrones“-Finale passiert ist – während unser Planet brennt…

Es ist Zeit für uns alle, massenhaft Widerstand zu leisten – wir haben es gezeigt, dass kollektive Aktionen funktionieren…
Dies wird nicht der letzte Tag sein, an dem wir auf die Straße ziehen müssen, aber es wird ein neuer Anfang sein.

Wir zählen auf Sie.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.