Maria trägt Kopftuch

Ein Student aus Schwaben erzählt über seine Sichtweisen als Muslim in Fulda – Eine Einladung zum Perspektivenwechsel

Wir treffen uns in einem Cafe am Fuße des Frauenbergs. Obwohl die meisten Tische belegt sind, erkenne ich Oguzhan sofort an seinem Bart und setze mich zu ihm. Wir brauchen nicht lange, um warm zu werden. „Meine Frau hat mir erzählt, du sähest aus wie ein echter Muslim“, fange ich an und wir beide lachen darüber, dass ich ihn so schnell erkannt habe. „Gibt ja nicht so viele hier“, erwidert er grinsend. Dabei könnte Oguzhan, abgesehen von seinem für mich etwas wilden Vollbart auch hier aus der Gegend stammen. Blaue Augen, stämmiger Körper, braune Haare. „Das liegt daran, dass meine Familie ursprünglich von der Schwarzmeerküste im Norden der Türkei kommt. Da ist das Klima total anders als in den Urlaubsregionen, die die meisten Deutschen so kennen.“ Und Oguzhan berichtet weiter. Sein Vater ist ein typischer Einwanderer, der in den 70er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland zog. Er selbst kam dann mit 2 Jahren, Mitte der 80er, nach Heilbronn in Schwaben. „Ich bin ein Schwabe mit türkischem Migrationshintergrund“, definiert er sich selbst. Als vierter Sohn von insgesamt 7 Kindern wächst Oguzhan alles andere als religiös auf. „Ich bin als Jugendlicher selten in die Moschee gegangen.“ Viel lieber zog er mit seiner Clique, Jungs aus der Kleinstadt aber aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, um die Häuser. Die meisten von ihnen kannte er aus der Hauptschule, in der ihm immer wieder gesagt wurde, dass aus ihm und seinen Freunden „eh nichts werden würde“. Statt aber den Kopf in den Sand zu stecken, beginnt Oguzhan an sich zu arbeiten. Auf dem zweiten Bildungsweg beendet er seine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation. Daraus schöpft er Kraft und finanziert sich sein Fachabitur selbst. Und jetzt macht er seinen Master in Interkultureller Kommunikation an der Hochschule. „Beeindruckend!“, sage ich. Doch Oguzhan wird plötzlich leiser und nachdenklich. „Weißt du, ich führte damals, zu meiner Hauptschulzeit, nicht wirklich ein gutes Leben und wenn ich ehrlich bin, war die Wahrscheinlichkeit, dass ich auf die schiefe Bahn gelangen würde, recht hoch.“ Ich schaue ihn neugierig an. „Ich hatte keine Richtung, keine echte Führung, wie ich mein Leben leben sollte“, fährt er fort. „Und dann bin ich zum Islam gekommen“, spricht der Student mit Bedacht.

cc Daniel Zaninih

cc Daniel Zanini

„Und der hat mir all das gegeben, was für mich als junger Mann so wichtig war.“ Oguzhan zählt auf: „Geborgenheit, das Leben des Propheten als Vorbild, Gemeinschaftsgefühl, Regeln und Rituale im Leben, das tägliche Innehalten und die Gesetze, wie deinen Nächsten zu Respektieren und gut zu behandeln.“
Mir wird plötzlich klar, dass wir genau deshalb hier sitzen, weil ihm die Religion so viel gegeben hat und er zutiefst trauert, dass in der Öffentlichkeit ein für ihn falsches Bild seiner Religion, seiner Mitbrüder und Schwestern verbreitet wird. Direkt spreche ich dies an. Oguzhan wird noch ruhiger, seine Augen schauen nach unten. Er beginnt zu erzählen. „Die Berichterstattung über den Islam hat sich eigentlich schon seit den Attentaten am 11. September 2001 verändert. Aus einem Fremdbild wurde plötzlich ein Feindbild“, erklärt Oguzhan. Ob sich auch etwas in seinem Leben verändert hat, möchte ich wissen. „Na klar“, schießt es aus ihm heraus und er berichtet weiter: „Früher haben mich die Leute als Türken gesehen, heute bin ich für sie ein Muslim. Wenn ich im Zug sitze, mir gegenüber liest einer ein Magazin, auf dem wieder einmal eine reißerische Titelseite über Islam und Terrorismus steht, dann wird es mir schon komisch, wenn ich die Blicke der Anderen wegen meines Aussehens auf mich ziehe.“ Aber es gebe doch auch neutralere Berichte über den Islam, entgegne ich ihm. Der Student bejaht dies, findet aber, dass die überwiegende Strategie der meisten Medien sei, Islam mit dem Terrorismus gleichzusetzen. Oder, wie im Moment, die Gefahr einer Islamisierung aufzuzeigen – bei der Nachrecherche zu diesem Interview habe ich bei der Google Bildersuche die Begriffe Islam und Titelseite eingegeben, ich weiß jetzt was Oguzhan meint (Anm. des Verfassers). Er wird konkreter: „Gefahr der Islamisierung? 5 Prozent der Menschen in Deutschland sind Muslime. In Sachsen, der Heimat von Pegida, sind es 0,2 Prozent. Sind das wirklich bedrohliche Zahlen?“ „Außerdem“, sagt er, „gibt es auf der Welt etwa 1,6 Mrd. Gläubige des Islam, 50.000 Tausend davon sind Verrückte wie die von Boko Haram oder Islamischer Staat, die mit der Lehre der Religion nichts am Hut haben. Das sind 0,003 Prozent. 99 Prozent der Medien berichten aber ausschließlich von diesen Wahnsinnigen!“ Auf die Frage warum dies so ist, meint der junge Mann, dass sich dies wohl besser verkaufen ließe. Und für den Leser sei es einfacher, über jemand anderen zu lesen, dessen Kultur man nicht so gut kenne. „Aber die Taten, die man aus dem Zweistromland hört oder aus Nigeria sind doch wirklich abgrundtief böse und erwähnenswert“, entgegne ich ihm. „Natürlich“, fährt es daraufhin aus dem Studenten heraus. „Das sind Crazy People, die unsere Religion in den Schmutz ziehen. Auch die Gräueltaten aus Paris sind in keinster Weise mit den Lehren Mohammeds vereinbar. Was ich aber meine, ist, dass fast ausschließlich, wenn über den Islam geschrieben wird, über diese wenigen Kriminellen berichtet wird. Übrigens sind die meisten Opfer dieser erwähnten Terroristen Muslime!“
Was ihm noch auffiele, wenn er die deutschen Medien verfolge, möchte ich wissen. Oguzhan erklärt, es komme oft vor, dass eine Diskussion mit zweierlei Maß geführt wird. Wenn Priester sich an Kindern vergehen, dann rede man von einem Problem innerhalb der katholischen Kirche, bringe es aber nicht gleich mit dem Christentum und den Lehren Jesu in Verbindung. Bringe Ali jedoch seine Schwester um, weil diese die Ehre der Familie „beschmutzt“ hat, so würde dies so hingestellt, als ob es mit dem Islam vereinbar wäre. Auch die Kopftuchdebatte führt er an. Ein Land, das den Frauen befehle, Kopftuch zu tragen, gelte als mittelalterlich. Ein Land das den Frauen verbiete, Kopftuch zu tragen hingegen nicht. Wo sei da der Unterschied? Gerade wenn in diesem Land die wichtigste Frau ihrer Religion, Maria, fast ausschließlich mit Kopftuch dargestellt wird. Hier muss ich ein wenig schmunzeln und eingestehen, dass mir das noch nicht aufgefallen sei, und ich es prüfen werde! Ich merke, dass unser Gespräch zu Ende geht und frage Oguzhan, ob er abschließend noch was mitteilen wolle. „Mir ist es wichtig, dass mein Bild des Islam, das so viele meiner Brüder und Schwestern auch haben, in Deutschland bekannter wird. Mohammed ist unser großes Vorbild, der ist für uns wichtiger als die Familie. Sein Leben war voller Respekt für den Nächsten, voller Mitgefühl und Brüderlichkeit. Und ich wünsche mir, dass wir alle, die wir gemeinsam in einer Stadt leben, uns mehr austauschen, miteinander statt nebeneinander leben würden. Und da muss ich auch mich und meine Glaubensgenossen in die Pflicht nehmen.“ „Danke“, sage ich, „da stimme ich dir zu. Friede sei mit dir!“ „Wa alaikum“, sagt mein Gesprächspartner.

P.S. Wir haben 54 Frauendarstellungen (weibliche Engel wurden nicht mitgezählt) im Dom gezählt, wovon 24 ohne Kopftuch und 30 mit Tuch dargestellt werden. Maria wird nur 2 mal ohne dafür aber mit Krone gezeigt.

Über den Tellerrand: http://www.thedailybeast.com/articles/2015/01/14/are-all-terrorists-muslims-it-s-not-even-close.html