Reinen Tisch machen

Wie die AfD unsere Gesellschaft kaputtmachen will

Sie sind wieder da. Jahrzehntelang konnten wir uns in der Bundesrepublik der Illusion hingeben, die Erfahrungen von Krieg und Naziherrschaft hätten in unseren Köpfen eine Saat aufblühen lassen, die nach der Befreiung durch den Aufbau einer funktionierenden Demokratie mit Ihrer Errungenschaft des demokratischen Rechtsstaats, basierend auf unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung und festgeschrieben im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ihren einklagbaren Ausdruck gefunden hat. Gingen wir in der Vergangenheit von einem breiten Konsens in dieser Gesellschaft zur obigen Frage aus, so sehen wir uns nunmehr durch die demokratiefeindlichen Äußerungen von Pegida und AfD einer neuen Bewegung mit großem Gefahrenpotential gegenüber. Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel bringt kürzlich mit seiner Frage unseren Umgang mit der AfD auf den Punkt: “Wann ist es Zeit, gegen offene und verdeckte Ausländerfeindlichkeit und rechte Hetzrethorik aufzustehen, wenn nicht jetzt?“

War man in der Vergangenheit mit den Äußerungen kleiner Gruppen von Rechtsradikalen konfrontiert, so gelingt es nun den Feinden unseres Rechtsstaates im dreisten und falschen Wahn, sie seien die authentische Volksbewegung und hätten jedes Recht, sich mit Ihren plakativen Äußerungen außerhalb des Grundgesetzes zu stellen – und sogar außerhalb der universalen Deklaration der Menschenrechte. Die sich immer weiter steigernden Forderungen und Äußerungen, vergiften Begrifflichkeiten wie „Lügenpresse“. Das Beschmieren von Wahlplakaten demokratischer Parteien mit dem Vorwurf „Volksverräter“ sowie weiterem Nazivokabular wird gezielt eingesetzt, um durch die immer weiter wiederholten falschen Argumente einzusickern in die Teile unserer Gesellschaft, die sich von den einfachen Lösungen von AfD und Pegida anziehen lassen. Bedingt durch die neoliberale und die in weiten Teilen nicht auf sozialen Ausgleich und Stärkung der Schwachen ausgelegten Politik, bei gleichzeitig fehlender stärkerer Heranziehung der Starken, erodiert die Mittelschicht und steigt die Zahl der finanziell am Rande des Erträglichen lebenden Menschen. Die Angst vor sozialem Abstieg bis hin zu Obdachlosigkeit geht um. Ein Fünftel der Kinder in diesem Lande lebt in prekären Verhältnissen. Das Vermögen ist ungleich verteilt wie nie. Die Reichtumsschere geht Jahr für Jahr weiter auf. Dieser Boden ist es, der es nun in der aktuellen Flüchtlingskrise ermöglicht, mit einseitigen Schuldzuweisungen an die angeblich versagende demokratisch gewählte Führung des Landes einfache Lösungen zu propagieren und deren Festungsmentalität auch das Ende unserer liberalen Demokratie und unserer freien Gesellschaft bringen würde. Trotz aller berechtigten Kritik an der bestehenden Politik und den Akteuren im Land können wir doch heilfroh sein, dass wir in einem starken Rechtsstaat leben und dass das Gewaltmonopol beim Staate liegt. Es ist nicht auszumalen, was ein Deutschland mit geschlossenen Grenzen, Mauern, Stacheldraht und Schießbefehl gegen illegale Grenzübertritte bedeuten würde. Es wäre das Ende aller Lehren aus dem zweiten Weltkrieg, das Ende auch der Errungenschaften durch die friedliche Revolution 1989.

Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik am undemokratischen Aufbau der transnationalen Brüsseler EU-Bürokratie, an der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Europaparlamentes und der Unmöglichkeit, z.B. die Eurogruppe zu wählen oder auch abzuwählen. Daher ist die EU ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld zur Lösung der anliegenden Probleme. Die politische Klasse ist dabei, die Kontrolle zu verlieren und das großartige Projekt Europa in den Abgrund zu führen. Hier muss die Zivilgesellschaft sich einbringen und es wieder auf einen akzeptablen demokratischen Weg bringen. Dazu zählen sowohl eine wesentlich verbesserte Transparenz der Entscheidungsprozesse sowie ein Umbau der europäischen Institutionen mit dem Ziel einer verbesserten Akzeptanz und Teilhabe durch die europäischen Bürger.

Die AfD schert sich nicht um moralische Legitimität Ihrer Forderungen, ein rein darwinistisch anmutendes Weltbild soll das schlechte Gewissen überdecken. Hier sollen Errungenschaften unserer Zivilisation rückgängig gemacht werden, deren Infragestellung noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen sind. Die Spirale fremdenfeindlicher Äußerungen und Taten steigert sich immer weiter, sowohl in ihrer Zahl als auch in ihrer Intensität. Die teils berechtigten Ängste um die eigene Zukunft und die Zukunft der eigenen Kinder bringt viele Betroffene in die mentale Nähe der geistigen Brandstifter der AfD, was leider durch Umfrageergebnisse im Vorfeld der drei Landtagswahlen in diesem Jahr mehr als belegt wird.

Doch der Einzug und die Arbeit in den Parlamenten ist nur ein Nebenschauplatz, wissen die Vordenker und Meinungsführer der Rechten doch, dass Ihre Chancen weit eher auf der Straße liegen, im Herbeireden des Scheiterns dieser Demokratie, einer Lage und einen vermeintlichen Zustand wie in der Weimarer Republik; als eine verkehrte Politik zu Lasten weiter Teile der Bevölkerung die NSDAP an die Macht spülte, die nichts Eiligeres zu tun hatte, als alle noch bestehenden demokratischen Elemente der Republik zu eliminieren und deren Vertreter zu verfolgen, seien es Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten oder auch engagierte Christen gewesen. Ermöglicht wurde das Scheitern der Weimarer Republik auch durch die weitreichenden Befugnisse des Präsidenten und der Regierung, die mit Notstandsvollmachten und im permanenten Ausnahmezustand am Parlament vorbeiregieren konnten, was zu einer Gewöhnung an ein bürokratisch-autoritäres Regime führte und die Demokratie entscheidend schwächte. Und dies, der Ausnahmezustand, ist die eigentliche Chance der AfD. Wenn die Straße regiert und alle Errungenschaften bis hin zu den Menschenrechten vom Tisch gewischt werden, sind wir dort, wo die AfD mit uns hinwill.

Aber noch ist es nicht soweit. Noch hält die Mehrheit in unserer Gesellschaft den Rechtsstaat für eine Errungenschaft, das Asylrecht für eine richtige Lehre aus der Erfahrung der Nazizeit und das Parlament, die Rechtsprechung und die Exekutive für die Garanten der Demokratie und unverzichtbar für eine menschengerechte und lebenswerte Zukunft in Sicherheit und Freiheit. Unsere Aufgabe ist es nun, die Ängste der AfD-Sympathisanten aufzunehmen und ernst zu nehmen, und Ihnen Wege innerhalb unseres Gesellschaftssystems aufzuzeigen, die ihre Lage verbessern und sie von den Demagogen der AfD fernzuhalten. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass etablierte Politiker der großen Parteien meinen, die Wähler der AfD am besten dadurch abzuholen, dass man selber deren Forderungen vertritt. Diese irrige Auffassung treibt nur immer neue Gruppen in die Arme der AfD. Vielmehr sind es eine gerechtere Politik des Ausgleiches, die Verhinderung des Ausspielens der armen Bevölkerung gegen die angeblich immens bevorteilten Geflüchteten, eine sachliche Argumentation und Aufklärung und die klare Sprache der Menschlichkeit und der Hoffnung, die hier die Verängstigten und die Hoffnungslosen abholen und in die Gesellschaft integrieren können. Nicht zu vergessen auch der Hinweis darauf, welche Motivation die Geflüchteten zu uns bringt. Für deren Fluchtgründe sind oft indirekt unsere europäische Wirtschaftsordnung und die Politik der vergangenen Jahre mitverantwortlich!

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