Sommermärchen im Schlosspark

titelbildSchloßgarten_PanoramaErste Liveübertragung der Stadtverordnetenversammlung in Fulda

Kurz vor Ende seiner Amtszeit macht Oberbürgermeister Möller den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Fulda ein überraschendes Abschiedsgeschenk: Er lässt die Stadtverordnetenversammlung live aus dem Stadtschloss übertragen und lädt zum Public Viewing in den Schlosspark.

Möller sprach exklusiv mit der AGORA über seine Beweggründe für diese doch unerwartete Geste:

Er habe, so Möller, in seiner Amtszeit vieles richtig gemacht, doch sei ihm in der Rückschau klar geworden, dass es an der Bürgerbeteiligung hier und da gefehlt habe. Sicher liege es auch immer an den Bürgerinnen und Bürgern selbst, wie viel Interesse sie an der Stadtpolitik zeigten, aber man könne als Oberbürgermeister doch mehr zur Beteiligung einladen, als er das stellenweise getan habe.

Vielleicht sei sein Vertrauen in eine mündige Bürgerschaft zu gering und die Sorge vor unkontrollierbaren Entwicklungen und unbequemen Nachfragen zu groß gewesen. Aber als er im Februar diesen Jahres zufällig einen Bericht über die Wuppertaler Kollegen gelesen habe, die eine Sondersitzung des Stadtrates live im Internet übertragen ließen, weil die Zuschauerplätze im Ratssaal für die interessierten Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichten, da sei etwas in ihm in Bewegung geraten. Handelte es sich bei der Wuppertaler Sitzung auch noch um eine Beratung und Entscheidung zum Grundstücksverkauf von städtischem Gelände an einen privaten Investor. Ausgerechnet zu einem solchen Thema die Öffentlichkeit so uneingeschränkt teilhaben zu lassen, und das auch noch live – bisher für Möller undenkbar.

Angestoßen durch das Wuppertaler Beispiel habe er sich in anderen Städten zum Umgang mit der Öffentlichkeit in der Stadtpolitik umgehört.

Den Kommunen in Hessen sei es durch die Reform der Gemeindeordnung zwar explizit erlaubt, ihre Sitzungen im Internet zu übertragen, der Umgang mit dieser Möglichkeit sei aber landes- und bundesweit sehr unterschiedlich. Anträge auf die Übertragung der Sitzungen würden quer durchs Land von allen Parteien gestellt. Mal seien es die Linken, mal SPD oder CDU, dann wieder die Grünen, die Piraten oder die FDP, aber auch Abgeordnete der CSU oder der Republikaner hätten schon die Live-Übertragungen aus den Sitzungssälen gefordert. Manche Städte hätten sich für ein Video-Livestreaming der kompletten Sitzung entschieden, andere nur für eine Tonübertragung. Einige Kommunen stellten den Mitschnitt der Sitzungen und auch wichtige Unterlagen wie Baupläne und anderes dauerhaft online zur Verfügung. Andere Gemeinden lehnten die Übertragung ganz und gar ab, aus Sorge der Abgeordneten vor Diffamierung oder weil der technische und finanzielle Aufwand als zu hoch eingeschätzt wurde.

Regensburg, München, Mühlhausen, Erfurt, Ingolstadt, Pfaffenhofen, Augsburg, Uelzen, Jena, Troisdorf, Maintal und andere tun es. Gießen, Fulda, Schongau und andere tun es nicht.

 Auf ihn, Möller, hätten bei seiner Recherche die Städte mit Internetübertragung und mit proaktiven Informationssystemen irgendwie gemeinschaftlicher, selbstbewusster, entspannter und zukünftiger gewirkt – und das habe er sich plötzlich für Fulda auch gewünscht.

Den endgültigen Ausschlag habe dann die niedrige Wahlbeteiligung bei der letzten Kommunalwahl gegeben. Er habe sich gefragt, warum die Bürgerinnen und Bürger so wenig Interesse an der Ausrichtung der Kommunalpolitik zeigten. Vielleicht, mutmaßt Möller, weil vielen Menschen die Politik zu abstrakt und vom eigenen Handlungsspielraum zu weit entfernt erscheine. In der Konsequenz müssten also die politischen Prozesse wieder erlebbarer werden und Bürgerinnen und Bürger sich eingeladen fühlen, daran teilzuhaben. Schließlich seien er und seine Kolleginnen und Kollegen zuallererst Dienstleister, die für ihre Amtsausübung auch auf konkrete Aufträge und Rückmeldungen der Bevölkerung angewiesen seien.

In Möllers Augen taucht ein verschmitztes Blitzen auf: Und dann habe er einfach ein letztes Mal seine Autorität spielen lassen, und die Stadtverordneten zur Liveübertragung „verdonnert“. Zwar seien hier und da Bedenken geäußert worden, doch inzwischen habe sich auch unter den Stadtverordneten eine erwartungsvolle Vorfreude ausgebreitet, die eigene Arbeit einmal in diesem bürgernahen Rahmen präsentieren zu können.

Dass nun so viele Menschen seiner Einladung zur ersten Live-Übertragung einer Stadtverordnetenversammlung gefolgt seien und damit auch die Arbeit der Stadtverordneten würdigten, sei ein ganz und gar überwältigender Moment und auch für ihn selbst das schönste Abschiedsgeschenk, dass er sich vorstellen könne.

Wir wünschen Herrn Möller an dieser Stelle alles Gute für den wohlverdienten Ruhestand und veröffentlichen hier einen Auszug der Liveübertragung:

Rund 17.000 Zuschauer – also 599 mehr, als sich an der letzten Wahl beteiligt hatten und nur 8.400 weniger als das Fürstliche Gartenfest besuchten – fiebern mit, als ihre Stadtverordneten in diesem Moment über die Geschicke der Stadt diskutieren und entscheiden. Sambarhythmen haben den Zuschauern schon vorab ordentlich eingeheizt und noch vor dem Anpfiff durch den Oberbürgermeister rollt die erste La Hola Welle vom Springbrunnen bis zum Musikpavillion. Die Versammlung plätschert zunächst vor sich hin. Die Nervosität der Abgeordneten in der ungewohnten Situation ist noch deutlich zu erkennen. Doch dann, in der 22. Minute, ein erster Sturm aufs Tor. Diskutiert wird das Für und Wider einer autofreien Innenstadt. Nach einem gelungenen Doppelpass der CDU wechselt die Linke mit einem Kopfball auf die SPD die Spielrichtung und der Ausgang ist wieder offen. Man spürt förmlich, wie auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt, dass Stadtpolitik keine langweilige Mauschelei hinter verschlossenen Türen ist, sondern hier die gewählten Vertreter in einem spannenden Schlagabtausch um gemeinsame Positionen und das Wohl der Stadt ringen. Und obwohl sich auch in der Zuschauermenge verschiedene Lager bilden, ist das geteilte Interesse an der Entwicklung der Heimat deutlich spürbar.

Die verschiedenen Redebeiträge verursachen heiße Diskussionen und die anfänglich leisen Rufe „Auto frei – seid dabei!“ werden lauter und dringen durch die Mauern augenscheinlich bis in den Fürstensaal, denn die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung kommen jeweils zu einer kurzen Besprechung zusammen, um Konsensmöglichkeiten auszuloten…..

Während die Bürgervertreter beraten, sorgen die lokalen Stadtverbände der Parteien unterdessen für das leibliche Wohl der Zuschauer. Klassische Bratwurst und Hochstift Pils gibt es bei der CDU. Die SPD lockt mit Pommes rot weiß und Limonade, bei den Grünen gibt es VeggieBurger und Wildkräutersmoothies. Die CWE bietet Fisch an, die LINKE. Offene Liste Soljanka, und die Republikaner offerieren deutschen Saumagen. Auch der Prosecco-Stand der FDP verzeichnet einen guten Umsatz.

Das Sommermärchen nimmt seinen Lauf…

… und die erfahrene Leserschaft ahnt es schon – Interview und Szenario entspringen mal wieder der wilden Fantasie der Redaktion. Tatsächlich haben die Grünen am 05.09.2011 beantragt, dass in die Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung Fulda ein Passus eingefügt wird, der die Internet-Übertragung von Stadtverordnetenversammlungen und Ausschüssen ermöglicht. Darüber hinaus sollte in den Fachausschüssen zu Beginn der Ausschusssitzungen eine einstündige Bürgerinnen- und Bürgerrunde stattfinden, in der sich Bürgerinnen und Bürger zu allen auf der Tagesordnung des jeweiligen Fachausschusses aufgeführten Punkten zu Wort melden könnten. Der Antrag wurde bis heute nicht behandelt.

Schade, wie wir finden. Denn auch uns erschüttern die geringe Wahlbeteiligung und die leeren Zuschauerplätze bei den Sitzungen im Fürstensaal. Die nur auszugsweise ausgewählte Berichterstattung durch die zugelassenen Medienvertreter erscheint uns nicht ausreichend, um Bürgerinnen und Bürgern den tieferen Einblick in Entscheidungsprozesse zu geben, der für die Identifikation mit dem „Team Stadt“ und für eigenes lokales Engagement notwendig ist. Aber nicht nur die Stadt ist hier in der Verantwortung, auch die Bürgerinnen und Bürger selbst sind gefordert, initiativ zu werden. Nur meckern ist nicht. Und vielleicht ist dann nicht nur über Wuppertal sondern auch über Fulda dereinst zu lesen „Die Zuschauerplätze im Fürstensaal reichten für die interessierten Bürgerinnen und Bürger nicht aus….“

https://fulda.ratsinfomanagement.net/termine

 

Randnotizen:

Regensburg, Mittelbayrische.de vom 25.07.2014:

Piratin Tina Lorenz, begrüßte die neue Transparenz. „Es ist Aufgabe des Stadtrats, Bürgernähe herzustellen und die Menschen da abzuholen, wo sie sind. Und das ist zunehmend im Internet“, sagte sie. Lorenz findet es „toll, dass eine große Mehrheit des Ausschusses ihr öffentliches Amt auch als Chance zur Vermittlung demokratischer Prozesse sieht“. Lorenz erinnerte, das Mandat sei ein öffentliches Amt. … „Der Bürger hat ein Recht, das zu sehen, auch die Diskussionskultur. Das sind ja keine Geheimverhandlungen.”

Schongau, merkur.de, 14.05.2015:

Michael Eberle (CSU) sah den Live-Faktor nicht als entscheidend an. Allerdings hatte er kein Verständnis für Stadtrats-Kollegen, die sich auch im Ton herausschneiden lassen wollen: „Wir sind doch angetreten für das, was wir sagen wollen, erst recht in einer öffentlichen Sitzung.“

Rhein-Sieg-Anzeiger 26.05.2015:

Troisdorf.  Der Rat geht auf Sendung: Schon bald sollen Sitzungen live übertragen werden, wenn auch ohne Bild, so doch als Audio-Live-Stream im Internet. Nach längerer Debatte sprachen sich die Fraktionen im Rat mit großer Mehrheit für diesen Schritt aus.

Mehr Transparenz soll auch eine „Open-Data-Strategie“ bringen, für die die Grünen einen Grundsatzantrag stellten. Daten und Informationen der Stadt sollen grundsätzlich „proaktiv“ zur Verfügung gestellt werden.