Journalismus - Coverbilder dreier Ausgaben von move36, einem Magazin für junge Menschen in Fulda

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Auf Anraten von Jens Brehl, einem freien Journalisten und Buchautoren (siehe Seite 15), der unser AGORA-Team schon des Öfteren unterstützt hat, treffen wir uns mit zwei ehemaligen Redaktionsmitgliedern von move36. „Das sind zwei Gute!“, ergänzte Jens noch und verlinkte uns zur Vorbereitung mit einem Artikel von ihm über das Ende von move36, einem Jugendmagazin aus dem Hause Parzeller, das im September seine letzte Ausgabe veröffentlicht hatte (https://www.fuldainfo.de/dont-move-mediengruppe-parzeller-stellte-jugendmagazin-move36-ein/).

Wir waren skeptisch. Zum einen, weil man Parzeller schon lange nicht mehr mit gutem Journalismus in Verbindung gebracht hatte. Zum anderen hatten einige von uns das Magazin noch zu seinen Anfängen in Erinnerung, als man dort vor allem online Partybilder aus dem Fuldaer Nachtleben weitergeleitet bekam, was auch nicht so spannend war. 

Anderseits erinnerten wir uns besonders zwei Artikel von move36, bei denen man merkte, dass dort Zeit in Recherche investiert wurde und echtes Interesse mit einfloss. Es ging um die L14 und Mitmachgärten, beides Themen die wir in der AGORA schon immer beleuchten.  Und je weiter wir uns mit move36 beschäftigten, um so bunter, kritischer und diverser wurde das Magazin. Eine Oase in der Fuldaer Medienwüste.

AGORA: Das ging dann doch schnell, mit dem Ende von move36!

Ex-36: Gegründet wurde move36 damals ja als „Baby“ von dem damaligen Geschäftsführer Rudolf Lechner und auch von Michael Schmitt, dem Unternehmensinhaber Parzeller Druck- und Mediendienstleistungen, Beide haben das Projekt immer wieder über die Jahre unterstützt. Wir bekamen ja schon mit, dass das Magazin kaum schwarze Zahlen schrieb. Hinzu kam der Wechsel in der Geschäftsführung bei Parzeller, die anscheinend nicht mehr 100% hinter uns stand. Was aber wirklich geschmerzt hat, ist die Tatsache, dass uns innerhalb von vier Wochen gekündigt wurde. In unserem Beruf und gerade in der Corona-Zeit war das eine echte Hausnummer.  Dies war zwar im Sinne der gesetzlichen Kündigungsfrist rechtens,  jedoch hätte man durchaus auch über sozialverträgliche Lösungen nachdenken können. 

Die Art und Weise war bitter. Unsere Projektschulen, mit denen wir zusammen gearbeitet hatten, wurden in fünf Sätzen schriftlich verabschiedet. Überspitzt beschrieben: „War schön, aber alles geht mal zu Ende! Tschüss!“ Und das war doppelt so ausführlich wie das persönliche Gespräch, das wir mit unserem Geschäftsführer gehabt hatten.

A: Die Enttäuschung, die da mitschwingt, ist nachvollziehbar. Besonders auch, weil ihr sicher sehr viel in das Projekt reingesteckt habt!

E: Ja, klar. Wir haben über einen längeren Zeitraum teilweise mit vier Leuten jeden Monat ein Magazin mit 80 Seiten produziert. Mit dabei waren auch Volontär:innen, die angelernt werden mussten. Das geht nur, wenn man für eine Sache brennt. Zusätzlich bedienten wir Social Media Kanäle, hatten Podcast und Videos produziert.

A: (Aus unserer semiprofessionellen Erfahrung als Herausgeber einer Bürgerzeitung sind wir kurz sprachlos, da wir nur im Ansatz  das Ausmaß der Arbeit erahnen können). Eure Themenauswahl scheint mit der Zeit immer bunter – und aus unserer Sicht damit interessanter – geworden zu sein. Hattet Ihr thematische Vorgaben?

E: Jede Zeitung hat eine Hauslinie, was legitim und normal im Journalismus ist.  Und die Fuldaer Zeitung (FZ) hat natürlich auch eine.  Das merkt man besonders bei den Kommentaren. Die FZ ist  konservativ, gut bürgerlich und wirtschaftsnah. Es geht aber dann für uns zu weit, wenn man eine Partei wie DIE LINKE vollkommen in der Berichterstattung außen vor lässt und andererseits Martin Hohmann (AfD) eine persönliche Plattform bekommt. 

Wir von move36 hatten aber viele Möglichkeiten und waren da freier. Das war gerade für Redakteur:innen wie wir, die damals gerade erst anfingen, eine tolle Lernmöglichkeit, sich zu unterschiedlichen Themen multimedial ausdrücken zu dürfen.

Wir hatten die Möglichkeit, Magazin-Journalismus zu betreiben, waren dadurch nicht so sehr an die tagesaktuellen Themen gebunden und konnten dadurch tiefer in Themen einsteigen und sie durch das Einnehmen anderer Perspektiven ganzheitlicher darstellen. 

A:  Ja, genau das hat man gemerkt und diese Art des lokalen Journalismus wird in der Region immer weniger. Liegt das nur an der Finanzierungsfrage?

E:  Das ist nicht nur in Fulda so. Viele Leser:innen wollen auch gar nicht so tief in Themen eintauchen.  Selbst ein renommiertes Blatt wie die Zeit, die aus unserer Sicht ein gutes Beispiel für ausführlicheren Journalismus ist, bringt es in Fulda auf nur wenige Hundert Abonnements, mit denen man eine lokale Zeitung nicht finanzieren könnte. 

In unserer Region ist der Journalismus und große Teile seiner Leser:innen noch eingefahrener als in anderen vergleichbaren Städten. Fulda ist nun einmal keine Universitätsstadt, in der es seit Jahrhunderten eine kritische Öffentlichkeit gibt. 

In der FZ gibt es außerdem immer weniger Menschen, die auch mal kritisch und mit Empathie nachhaken wollen, um sich auch mal in die Perspektiven von Randgruppen hineinzuversetzen zu können. Der Chefredakteur scheint zusätzlich eher ein Sprachrohr der Geschäftsführung und deren wirtschaftlichen Interessen zu sein, statt sich auch als Vertretung seiner Journalisten zu sehen. Das ist in manchen Zeitungen anders.

A: Und Osthessen-News?

E:  Die sind komplett werbefinanziert, also auf Klickzahlen angewiesen und der Geschäftsführer ist Mitglied der CDU.

A: Also, konkret, wo in der Region wird ausführliche, tiefgründige, kritische, nachfragende und in der Themenwahl vielfältige journalistische Arbeit geleistet? 

Uns fällt da eventuell der Seitenwechsel (das Magazin von antonius) ein und ab und zu mal ein Artikel bei Fulda Info. Naja, und dann gibt es da noch eine kleine, aber feine Bürger:innen Zeitung, die Sie gerade in den Händen halten.

E: Für jemanden, der nicht gutbürgerlich und konservativ eingestellt ist, ist Fulda medial eine Wüste. 

A: Finde wir auch und besonders, wenn so wertvolle Oasen wie move36 mir nichts dir nichts auch noch ausgetrocknet werden.

In dem Artikel von Jens Brehl wird deutlich, dass ihr bei move36 mit euren multimedialen Konzepten schon ziemlich weit vorne wart. Worum geht es da genau und wurde denn von Parzeller etwas von eurer Pionierarbeit übernommen? 

E: Parzeller hat für den Moment alles vom Netz genommen. Wir wären mit unserem neuen Konzept gerne durchgestartet. So hätte man Geschichten aus dem Magazin online weiterführen können. Wir hatten den Erscheinungszyklus auf sechs Ausgaben im Jahr runtergefahren, um mehr Zeit für Videos, Podcast und vieles mehr zu haben. Und mit einer ordentlichen, crossmedialen Vermarktungsstragie, die die Geschäftsführung hätte etablieren müssen, wäre das sicher auch finanzierbar gewesen. 

Außerdem finden multimediale Tools wie Scrollytelling weiterhin sehr spannend. Dabei erzählt man Geschichten oder Themen, in dem man Texte, mit Bildern, Videos, Podcasts, Präsentationen anreichert und durch einfaches Herunterscollen immer neue Welten entdecken kann. 

A: Kennt ihr denn Beispiele von lokalem Journalismus, der sich Zeit nimmt und Platz hat, Themen gut recherchiert auf den Grund zu gehen und sich trotzdem finanziell trägt? Ihr sagt ja selbst, man braucht Geld, um guten Journalismus zu machen.

E:  Auf lokaler Ebene muss man da wirklich suchen. Aber die Gießener Allgemeine Zeitung bringt zum Beispiel seit Jahren viel mehr intensiv recherchierte Hintergrundgeschichten, auch aus kleinen Gemeinden, und das ist auch von der Geschäftsleitung so gewollt. Der Terminjournalismus steht hier nicht mehr an oberster Stelle. Und natürlich machen Medien aus großen Städten auch super regionale Berichterstattung. Storys über Frankfurt von der FAZ oder vom Tagesspiegel über Berlin sind ja auch Lokalgeschichte, eben aus Metropolen, aber deswegen nicht weniger lokal. Aber national hat es das noch recht frische Katapult Magazin  geschafft, sich durch monatliche Abonnements unabhängig zu etablieren.  Dann gibt es natürlich noch hervorragende Journalismus-Projekte wie Perspective Daily für konstruktiven Journalismus, den Volksverpetzer oder mimikama, die sich zum Ziel gesetzt haben, Nazis zu entlarven und Lügenkampagnen aufzudecken oder auch das Portal „Über Medien“, das professionelle, hintergründige Medienkritik übt – alles Projekte, die sich vor allem durch Zahlungsbereitschaft der Fans finanzieren lassen. Leserbindung ist überhaupt der Schlüssel zu seriösem, unabhängig finanzierbarem Journalismus. Und nicht zuletzt gibt es natürlich auch gute Regionalberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen, aber das ist hinsichtlich Finanzierung natürlich ein ganz anderes Feld. Und wir finden diese Idee auch für lokale Projekte spannend.

Warum nicht ein eigenes Medium gründen, das durch feste Abos und freiwillige Geldbeträge auf eigenen Beinen steht? Man könnte sich dann Berichterstattungen über die Fuldaer Subkultur leisten, sie in Verbindung mit der städtischen Kulturpolitik stellen. Oder Randgruppen vorstellen. Die unglaubliche Arbeit von Organisationen wie die Drogenhilfe würdigen.  Man könnte auch, gerade durch neue Methoden, wie eben Scrollytelling, gute Portraits  von interessanten Menschen machen, die es hier in einer großen Vielzahl gibt – und nicht immer nur dem Oberbürgermeister oder irgendeinem Geschäftsführer huldigen. Außerdem könnte man inspirierende Menschen fragen, für das Medium zu schreiben. 

A: Vielen Dank für eure ausführlichen Antworten!

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Nachdem wir diese passionierte Antworten hörten, schauen wir uns im AGORA Team  kurz an und müssen schmunzeln. Vieles dieser  Vision klingt doch sehr nach dem, wonach wir uns auch sehnen. Wir bedanken und freuen uns, dass wir uns doch von einem Treffen mit den Beiden überzeugen ließen. Wunderbar, dass es solche engagierten Journalisten in unserer Region gibt. Vielleicht war ja das Treffen nicht zu spät, sondern erst der Anfang?