Vom Eichhörnchen und dem Staatsschutz

Der Staatsschutz, das ist der Sammelbegriff für den Schutz eines bestehenden Staates vor insbesondere politisch motivierten, staatsbedrohenden Aktivitäten im Rahmen polizei- und ordnungsbehördlicher Maßnahmen. Klassische Staatsschutzdelikte sind gegen die Existenz, Verfassung oder Sicherheit des jeweiligen Staates gerichtete Straftaten, wie beispielsweise Terrorismus, Friedens-, Hoch- und Landesverrat.  Zu den Aufgaben der mit dem Staatsschutz befassten Abteilungen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaften zählen die Ermittlung und Verfolgung, sowie die Verhütung und Verhinderung von Straftaten im Rahmen politisch motivierter Kriminalität  wie Terrorismus und Extremismus (zum Beispiel rassistisch oder politisch motivierte Körperverletzung). Eine die Menschenrechte missachtende übersteigerte Form des Staatsschutzes war in der DDR die Staatssicherheit. (Quelle: wikipedia).

Am Tag der Verhandlung vor dem Fuldaer Amtsgericht

Am Tag der Verhandlung vor dem Fuldaer Amtsgericht

Von Bäumen und Castoren

Das Eichhörnchen, das ist Cécile Lecomte, in Deutschland lebende französische  Kletteraktivistin und Atomkraftgegnerin. Cécile Lecomte hat sich für eine fantasievolle und ungewöhnliche Protestform entschieden: die Sitzblockade in der dritte Dimension. Sie erklettert  Hochhausfassaden, seilt sich von Brücken ab und bringt Transparente in luftigen Höhen an – unschwer zu erraten, warum die ehemalige französische Meisterin im Sportklettern den Spitznamen „das Eichhörnchen“ trägt.Ihr Engagement richtet sich unter anderem gegen Atomkraft, Gentechnik und Militarismus.

Medienwirksame Aktionen sind dabei nur ein Teil ihrer politischen Arbeit, vor allem vermittelt sie Inhalte und Informationen.  Dass sie sich bei manchen Aktionen im Nachhinein wegen des Begehens einer Ordnungswidrigkeit verantworten musste, nimmt sie in Kauf. Ihr Engagement hat keinen terroristischen oder extremistischen Hintergrund. Die Motivation der Aktivistin ist das Bedürfnis, Verantwortung zu übernehmen für die Welt in der wir leben; ihre Legimitation ist das Recht auf freie Meinungsäußerung und zivilen Ungehorsam. Aber wenn Frau Lecomte keine Handlungen begeht, die die Existenz oder Sicherheit des Staates gefährden, sondern ganz im Gegenteil,  die Bürger dieses Staates auf Unrecht und Gefahren aufmerksam machen will – was hat dann der Staatsschutz mit dem Eichhörnchen zu tun? Und warum kann ihre persönliche Freiheit immer wieder massiv eingeschränkt werden? Beim Castortransport im November 2011 platzierten Cécile Lecomte und andere Kletterer in der Nähe von Marbach bei Fulda Anti-Atom-Transparente und auch gleich sich selbst in den Bäumen oberhalb der Gleise, um auf die Gefahren der Atomkraft und die Störanfälligkeit der Transporte radioaktiver Abfälle aufmerksam zu machen. Eingebracht hat dem Eichhörnchen dieser Protest eine Anklage und ein Verfahren vor dem Amtsgericht Fulda, dem eine mehr als 500-seitige Ermittlungsakte zugrunde liegt. Der zunächst im Raum stehende Vorwurf eines gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr oder gar eines terroristischen Akts ließ sich nicht halten. Inzwischen geht es um eine mögliche Sachbeschädigung der Castorbehälter und Schienenfahrzeuge durch Farbspritzer.  Die Verhandlung wurde nach dem ersten Verhandlungstag ausgesetzt, da die Beschuldigten dem Gericht Verfahrensfehler nachweisen konnten. Am Vorabend der Verhandlung fand in Fulda  eine Buchvorstellung mit Lesung durch die Autorin Cécile Lecomte statt. Sie stellte ihr Buch „Kommen Sie da runter!“ mit Geschichten aus dem Alltag einer Kletterkünstlerin vor. Unaufgeregt, charmant, und augenzwinkernd trat sie in Kontakt mit dem Publikum. Konsequent in ihrer Haltung aber nicht verbissen in der Kommunikation. Die Botschaft: Sich politisch zu engagieren macht Spaß! Aber mit dem Spaß ist es auch schnell vorbei – nämlich dann, wenn politisches Engagement Repressionen und Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte nach sich zieht, wie es Cécile Lecomte und andere Aktive schon oft genug erlebt haben. Wer sich nicht abfindet mit dem was stört, wird schnell selbst zum Störfaktor. Cécile Lecomte ist immer wieder Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt. Über sie werden Daten gesammelt und gespeichert und dann zum Beispiel im Vorfeld einer möglichen (!)  Aktion zur „Gefährdungseinschätzung“ herangezogen. 2008 kam sie so anlässlich eines Atommülltransportes zum Atommüllzwischenlager Gorleben sogar für 4 Tage (!) in den sogenannten präventiven Gewahrsam (s. Hintergrund).  Zwar wird die Unrechtmäßigkeit solcher Maßnahmen oft im Nachhinein anerkannt, der Nutzen dieser Art der Rehabilitierung hält sich jedoch in Grenzen, denn die einschüchternden Erlebnisse und vor allem die Eintragungen in den Polizeidateien bleiben. Gewaltfreies politisches Engagement wird kriminalisiert, und so vorgeblich die Einschränkung von Persönlichkeitsrechten als Präventivmaßnahme gerechtfertigt.

 

Unter Beobachtung

Vermutlich aufgrund einer derart hergeleiteten Gefährdungseinschätzung interessierte sich dann auch der Staatsschutz Fulda für die Buchvorstellung  und mischte sich unerkannt unter das Publikum, ohne die Veranstalter darüber zu informieren. Die Reaktionen der Besucher der Lesung nach Bekannt-Werden dieser Überwachungsmaßnahme am nächsten Tag geben eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen mag, heimlich beobachtet zu werden. Besucher beschrieben eine anhaltende  Verunsicherung und ein mulmiges Gefühl: Habe ich mich durch den Besuch der Veranstaltung jetzt verdächtig  gemacht? Wurde ich in irgendeiner Art registriert?  Wer hat da beobachtet? Wo treffe ich diese Person das nächste Mal? Hat man mich künftig etwas mehr im Auge? Zum Beispiel, wenn ich einen Leserbrief schreibe oder an einer Meinungskundgebung teilnehme? Und das vielleicht nur, weil ich mir aus einem Buch habe vorlesen lassen…?? Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum Lachen.

In der Verhandlung am nächsten Tag bestätigte sich dann, dass im Zusammenhang mit Frau Lecomtes politischen Aktivitäten bereits länger „verdeckte Aufklärung“ betrieben wird. Sie hat gegen diese Maßnahmen der Überwachung umgehend Widerspruch und einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eingereicht.

 

Die Grenzen des Rechtsstaats

Wie weit also darf ein Rechtsstaat gehen? Ist ein mehrtägiger Gewahrsam zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit verhältnismäßig und mit den Grundrechten zu vereinbaren? Wieviel ziviler Ungehorsam ist Menschenrecht? Wie frei sind BürgerInnen sich zu äußern, wenn sie nicht einverstanden sind mit Entscheidungen der Politik und informieren wollen über die Konsequenzen dieser Entscheidungen?  Wo beginnt der Überwachungsstaat? Und gibt es gesellschaftspolitische oder wirtschaftliche Themen, bei denen repressive Reaktionen schneller erfolgen, als bei anderen?

Zu diesen Fragen mögen die LeserInnen selbst zu einer Meinung kommen. Wir halten es an dieser Stelle jedenfalls mit dem Aufruf des ehemaligen französischen Widerstandskämpfers und UN-Diplomaten Stéphane Hessel aus dem Jahr 2010: Empört Euch!

Cécile Lecomte (Mitte) vor dem Amtsgericht Fulda

Hier kann man sich ein  Bild von Cécile Lecomtes  Arbeit und ihrer Motivation verschaffen:

http://blog.eichhoernchen.fr/. 

Über die Fortsetzung des Verfahrens wird u.a. hier informiert:

http://nirgendwo.info/fulda/

Auch ihr Buch „Kommen Sie da runter!“, Kurzgeschichten und Texte aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin,  erschienen im Verlag Graswurzelrevolution,  erlaubt einen Einblick in die Beweggründe der „Überzeugungstäterin“.

 

 

     Hintergrund

Präventivgewahrsam / Unterbindungsgewahrsam

In Deutschland können Menschen präventiv „zur Gefahrenabwehr“ nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz der jeweiligen Bundesländer in Gewahrsam genommen werden, ohne dass ihnen eine Straftat vorgeworfen wird. Mit Sicherheitsgewahrsam (=Vorbeugegewahrsam =Unterbindungsgewahrsam) wird eine Ingewahrsamnahme bezeichnet, die unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern (z.B. § 32 Abs. Nr. 2 HSOG).

In Bayern und Baden-Würtemberg  zum Beispiel, darf der Gewahrsam bis zu 14 Tage dauern, in Hessen, Berlin und NRW max. 48 Stunden  und in Bremen, MVP und Schleswig-Holstein ist keine Maximaldauer festgelegt. Aus einem Beschluss zum Freiheitsentziehungsverfahren nach dem HSOG des OLG Frankfurt vom 18.06.2007:

„Da das Instrument des Gewahrsams während der Nazizeit äußerst massiv missbraucht wurde, sollte es durch die Tatbestandsmerkmale „unerlässlich“ und „unmittelbar bevorstehend“ rechtlich unmöglich gemacht werden, dass die Vorschrift zu einer Ermächtigung zum sog. Vorbeugegewahrsam (früher: Schutzhaft) ausgeweitet wird (Hornmann, 5 32 HSOG Rn 16 und 3). Unerlässlich ist nicht gleichbedeutend mit erforderlich, sondern geht darüber hinaus. Eine Maßnahme ist nur dann unerlässlich, wenn die Gefahrenabwehr nur auf diese Weise möglich und nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar ist (Hornmann, 3 32 HSOG Rn 17).“

Auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diese Praxis gerügt,  für die Straßburger Richter ein Verstoß gegen die Grundrechte auf Freiheit und Sicherheit und auf Versammlungsfreiheit der Menschenrechtskonvention.

 

Ziviler Ungehorsam 

Ziviler Ungehorsam (von lateinisch civilis ‚bürgerlich‘; deshalb auch bürgerlicher Ungehorsam) ist eine Form politischer Partizipation, deren Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. Durch einen symbolischen, aus Gewissensgründen vollzogenen, und damit bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen zielt der handelnde Staatsbürger mit einem Akt zivilen Ungehorsams auf die Beseitigung einer Unrechtssituation und betont damit sein moralisches Recht auf Partizipation.  Durch den symbolischen Verstoß soll zur Beseitigung des Unrechts Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung genommen werden. Der Ungehorsame nimmt dabei bewusst in Kauf, auf Basis der geltenden Gesetze für seine Handlungen bestraft zu werden. In der Regel beansprucht er ein Recht auf Widerstand für sich, das sich jedoch von einem verfassungsgemäß gegebenen Widerstandsrecht unterscheidet. Demjenigen, der zivilen Ungehorsam übt, geht es damit um die Durchsetzung von Bürger- und Menschenrechten innerhalb der bestehenden Ordnung, nicht um Widerstand, der auf die Ablösung einer bestehenden Herrschaftsstruktur gerichtet ist. Die Methoden und Aktionsformen von zivilem Ungehorsam und Widerstand gleichen sich jedoch in vielen Fällen. (Quelle: wikipedia)