
Der Fulder und seine Stadt
Wahr oder unwahr? Die Vegetarier in Fulda haben einen Metzger zum Vorsitzenden. Im Karnevalsverein haben sich die Beerdigungsunternehmer organisiert. Messdiener im Dom können nur Atheisten werden. Der Vorsitzende des Denkmalbeirates ist freischaffender Architekt des modernen Hochbaus.
Wer das Ratespiel gelöst hat, wird verstehen, warum in Fulda – ausgenommen die historischen Prachtbauten im sogenannten Barockviertel – Jahr um Jahr alteehrwürdige Baudenkmäler verschwinden oder „modernisiert“, verschandelt werden. Dabei ist die Vorgehensweise immer ähnlich. Über Jahre werden die Gebäude dem Verfall preisgegeben. Dann, wenn „es sich nicht mehr lohnt“, oder der Einsturz droht, wird abgerissen und neu gebaut. Und die Stadt spielt in der Regel mit, mit der Totschlagargumentation: jetzt ist ja eh nichts mehr zu machen. Siehe Langebrückenstraße 14. Weitere in Vorbereitung befindliche, klammheimlich und doch vor aller Augen stattfindende Verfahren laufen ebenfalls in dieser Straße ab. Drei sogenannte Fünffensterhäuser stehen seit Jahren leer und brechen demnächst zusammen.
Wären in dieser Stadt nicht eine handvoll (vielleicht auch zwei) Eigentümer, die an ihrer liebevoll in Schuss gehaltenen „Bude“ hängen, das Stadtbild rings um den touristisch vermarkteten Barockteil wäre längst nicht mehr wiederzuerkennen. Wenn man nach längerer Abwesenheit wieder in die schöne alte Stadt zurückkäme, müsste man feststellen – wie jetzt schon in den Randbezirken – das Stadtbild gleicht dem anderer deutscher oder europäischer Trabantenstädte. In immer neuen Anfällen von Modernisierungswut und Gewinngier, kommt eine Vereinheitlichung zustande, die in mir Abscheu erzeugt. Die Einfallslosigkeit liefert sich erbitterte Konkurrenzkämpfe in ganz Deutschland. Als „Fremer“, Eingewanderter, wenn auch aus dem Landkreis, habe ich ja eigentlich kein Recht, die Fuldaer oder Doppelfulder, zu kritisieren. Aber in beinahe vierzigjähriger Anwesenheit in dieser „City“ ist mir besonders das Alte, Krumme, Unverwechselbare, hier und da etwas Heruntergekommene ans Herz gewachsen. Viele Ecken und Kanten wecken Erinnerungen. Geschichten kommen hoch und auch, wenn ich das Wort eigentlich nicht mag, ein Gefühl von Heimat entsteht.
Ich durfte den ebenfalls diese Stadt liebenden Ludwig Müller noch kennenlernen. In immer neuen Aufsätzen in der Fuldaer Zeitung und in spannenden Erzählungen beim persönlichen Gespräch hat er mich neugierig gemacht und mein Engagement für Fulda geweckt. Ich gebe zu: ein viel geringeres als das seine. Der Verlag Parzeller hat seine Schriften mit vielen historischen Fotos als Buch herausgegeben: „Fulda – wie es einmal war“. Ludwig hat den Fuldaern oft „die Leviten gelesen“ – auf Seite 31 ist zu lesen: „Es war nur das Geburtshaus des einzigen Fuldaer Dichters Heinrich König, und als man es 1974 in aller Stille abriss und die Stadtmauer kürzte, da vollendete sich gewissermaßen der letzte Akt eines Trauerspieles, das so nur in Fulda geschrieben werden konnte. Das Geburtshaus war eines der seltenen Arbeiterhäuschen mit einem ‚Atrium‘, in dem wohl die Ziege ihren Platz hatte und das uns heute, wie sonst nirgendwo, die Lebensweise armer Bürger im eigenen Heim am Ende des 18. Jahrhunderts hätte zeigen können.“ Geholfen hat’s wenig. Seit seinem Tod ist der Trend unverändert vorangeschritten. Vieles von dem, was den Krieg überstand, wurde den Baggern „zum Fraß vorgeworfen“. Diese Tendenz hat Ludwig erkannt und benannt. Nur touristisch interessante, verwertbare Bauten gelten als erhaltenswert, werden gehätschelt und als einzige aufwändig in Stand gehalten und wie das sonntägliche Gewand gehütet, mit permanentem Facelifting präsentiert. Insofern verhält sich Fulda wie ein Zuhälter, der seine Großmutter auf den Strich schickt, sich aber sonst nicht um sie kümmert, Hauptsache sie bringt Moneten nach Hause. Gewiß ist meine Aussage überzogen. Alle Vergleiche hinken, weiß ich. Wie oben schon erwähnt, gibt es auch positive Beispiele. Aber wer heute oder morgen durch „sein Fulda“ geht und der Großmutter auch mal „unter den Rock“ schaut, also in die Hinterhöfe, die Unterstadt usw., der wird mit Erschrecken feststellen, dass der schleichende Verfall weitergeht, die charakterlose Modernisierung nach der Devise „Gewinn und sonst nichts“ voranschreitet. Die Investoren haben das Sagen, sobald sie mit dicken Geldbündeln winken. Da setzen sich die Entscheidungsträger über vieles, mitunter ihre eigenen früheren Vorgaben hinweg und machen sich hier und da sogar lächerlich in ihrer Modernisierungswut und Investitionsgeilheit ( siehe Adecco-Projekt).
Ursache dürfte aber vor allem die Gleichgültigkeit und Unwissenheit vieler „Eingeborener“ sein. Wie viele Kästen à la Karstadt, Üwag, Genossenschaftsbank, H&M, Al Hami usw. wollt ihr euch noch gefallen lassen? Wie lange lasst ihr „Fölsche“ die Investoren und ihre Helfer noch mit der Botoxbetonspritze durch die Stadt geistern? Wie viele dieser Büro- und Verkaufsbatterien mit den toten Augen vertragt ihr noch? Die Abzocker wollen euch etwas von Einkaufserlebnis eintrichtern und ihr macht mit, als gäbe es sonst nichts an lebenswerten Möglichkeiten in dieser altehrwürdigen Stadt. In vielen Gesprächen stelle ich weitere Ursachen fest. Das Wissen der Bewohner über ihr Fulda ist meistens sehr oberflächlich. Ich als Immigrant aus dem Umland fühle mich oft besser informiert. Gefühlsmäßig bin ich wohl sowieso allein auf weiter Flur. Trauer und Wut über den Verlust der liebgewonnenen Häuser und Gassen entwickeln scheinbar nur ich und eine Minderheit. Wo bleibt der Respekt gegenüber der Handwerkskunst, dem Fleiß früherer Generationen? Den Jetzt-Fuldern scheint in diesem Bereich das Konservative abzugehen. Schade! Denn „diese Alte“ hat es verdient, das man sie mit Ehrfurcht in die nächsten Jahrhunderte begleitet. In dieser emotionalen Stimmung lasse ich mir auch gerne eine historisch verklärende Gesinnung unterstellen. Aber entwickelt die nicht jeder, der durch die alten Städte wie Prag, Paris, Rot(h)enburg (Tauber und Fulda), Hannoversch Münden, Arles, Amsterdam, Kopenhagen usw. „lustwandelt“? Heimgekehrt fällt uns nicht auf, dass schon wieder einige Stücke aus Fuldas „guter Stube“ zur Disposition stehen. Warum toben sich die Geldsäcke nicht am Stadtrand aus? Auf dem Aschenberg oder neben den Kaiserwiesen und wer weiß wo noch überall ist doch Platz genug für Beton, Stahl und Glas.
Jetzt höre ich schon das Argument: Investitionen schaffen notwendige Arbeitsplätze. Stimmt! Doch bin ich der Meinung, dass gut praktizierter Denkmalschutz gleich mehrfach lohnt. Er sichert Arbeitsplätze im Bereich der Bauwirtschaft und als Folge des charakteristischen und einmaligen Stadtbildes ebenso in der sogenannten Tourismusindustrie.
Spitze, dieser Artikel, lieber Günter!!
Klasse !!!! Und wie wahr, 🙁
Viele Gebäude gehören einfach nicht mehr in die Zeit. Es will keiner mehr drin wohnen, sie sind auch nicht schön und sie waren eigentlich noch nie schön.
Wenn die Handwerker von vor 200 Jahren sehen würden, was wir für einen Aufwand betreiben um ihre alten hässlichen Dinger zu erhalten, obwohl wir wirklich schöne neue Häuser bauen könnten, sie würden sich im Grab rumdrehen.
Gerade die Hütten in der Langebrückenstrasse sind da ein (schönes) Beispiel.
Man kann hier mit viel Liebe und viel Geld mit Sicherheit etwas aus den alten Kisten machen, aber die Liebe und das Geld kann man genauso gut in was Neues stecken.
Das das Neue dann zu keiner Bausünde wird, dafür gibt es das Baudezernat und meines Erachtens machen die ihre Sache in Fulda schon recht gut.
Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel, so kann ich nicht verstehen wie man so etwas Schreckliches wie das Florentor genehmigen konnte.
Abschließend möchte ich sagen, das Fulda meiner Meinung nach eine schöne Stadt ist und ich auch keine große Sorge trage, das sich das auf absehbare Zeit ändert!