Die Vertreibung aus dem Paradies?
In der Langebrückenstrasse 14 kehrt keine Ruhe ein. Die Existenzbedrohung der Initiativen ist nach wie vor da, die Stadt geht einen Schritt vor und zwei zurück und die Öffentlichkeit schaut immer kritischer hin. Kann sich die Stadt Fulda leisten, eine solch einzigartige Soziokultur im Stich zu lassen und die Situation schön zu reden?
Ging das Jahr 2016 für die Bürgerinitiative L14 damit zu Ende, sich in guten Gesprächen zu wähnen und begann das Jahr 2017 mit dem vom Stadtbaurat Schreiner verbreiteten Hoffnungsschimmer, die Initiativen könnten weiter im vorderen Bereich des Areals Langebrückenstrasse 14 bleiben, so steht jetzt zumindest fest, dass sie es mit einer Stadt zu tun hat, die sich nur dann zu bewegen scheint, wenn der öffentliche Druck zu groß wird und mit Investoren, die das machen wollen, was Investoren nun mal grundlegend auszeichnet: kaufen, bauen, Geld verdienen.
Mehrfach wandte sich die BI in den vergangenen Monaten an OB und Stadtbaurat, um außer Allgemeinplätzen mal konkrete Informationen über den aktuellen Stand zu bekommen und den versprochenen Gesprächstermin einzufordern. Vergebens. Es brauchte wohl den Paukenschlag eines Offenen Briefes an OB Wingenfeld im Mai, damit hier mal wieder der Gang eingelegt wurde. Dieser in den regionalen Nachrichtenportalen (und auch auf www.agora-fulda.de) ausgiebig dokumentierte Brief war kaum einen halben Tag veröffentlicht, kam prompt der lange ersehnte Terminvorschlag vom OB zum nächsten Gespräch. Der scharfe Ton im Offenen Brief, die Anklage wegen „Auslassung jeglicher Information und Ansprechbarkeit in dieser Thematik“ sowie der Vorwurf, der „gegenwärtige und Ihnen sicherlich seit geraumer Zeit bekannte Sachstand“ widerspreche „in höchstem Maße den von Ihnen getroffenen Aussagen“ gegenüber BI und AWO-Jugendwerk und Öffentlichkeit inklusive Stadtverordnetenfraktionen, hat mutmaßlich ins Schwarze getroffen. Plötzlich ist die öffentliche Aufmerksamkeit wieder da. Wie man eine gute Gesprächsebene erfolgreich abbrechen und die Stimmung nachhaltig vermiesen kann, haben OB Wingenfeld und Stadtbaurat Schreiner bis zu diesem Zeitpunkt durch öffentliches Aussitzen demonstriert. Da hilft auch der Verweis der Teilnahme an der Lenkungsgruppe, die begleitend zum Förderprogramm die Lage im Gebiet erörtert, nicht wirklich weiter. Diese hat ausschließlich beratende Funktion, die daran Teilnehmenden dürfen sich gebauchpinselt fühlen und die Stadt hat hiermit ihrer Meinung nach der Förderbedingung „Bürgerbeteiligung“ genüge getan. Doch ein solches, für die sensible Stadtentwicklung wichtiges Thema braucht ein bisschen Dünger. In Blumenbeeten, die nicht gepflegt werden, setzt sich schnell Unkraut fest. Bildlich so hängengelassen machte die BI, was „Unkraut“ naturgemäß macht: Wurzeln tiefer graben, Gartengelände instand(- be)setzen und Kübel bepflanzen. Kaum waren die ersten Triebe im Hof und „Vonderau-Park“ durch massive Hilfe vieler Beteiligter und pressebegleitend geschossen, kam die Meldung, die Investoren Burg & Geisenörfer würden die bestehenden Mietverträge in der L14 bis Ende 2017 verlängern. Ob dieses großzügige Angebot mit möglicher Förderung über das Stadtumbauprogramm zu tun hat und somit in diesem Jahr vermutlich nicht mehr mit Baumaßnahmen zu rechnen sei, darüber wird allenthalben spekuliert. Nicht spekulieren dagegen lässt sich über die nach wie vor bestehende Existenzbedrohung der über zwanzig Initiativen in der L14. Sowohl das Jugendwerk als auch die anderen Initiativen brauchen Planungssicherheit und zogen deshalb von Beginn an die Stadt in die Verantwortung.
Dass OB Wingenfeld die Wichtigkeit eines solchen Angebotes verstanden hat, daran lies er gegeüber der BI keinen Zweifel. Kein Wunder, in der Stadt wird außer Hoch- und Trivialkultur wenig angeboten, was an Nachhaltigkeit interessierte junge Menschen auch über ihr Studium hinaus hier halten würde. Doch am Verbleib vieler Studierender nach ihrem Abschluss in der Region haben auch Wirtschaft und Politik großes Interesse, wie in Sonntagsreden über den Status der Hochschule Fulda als stetig wachsendes Wissenschaftszentrum immer wieder betont wird.
Wie also herauskommen aus der Situation, die für die Stadt immer mehr zum Dilemma wird? Eine Option wäre, Freiräume zu ermöglichen durch Rückkauf des vorderen Geländebereiches an der Langebrückenstrasse. Dies wurde von der BI vorgeschlagen und von der Stadt auch bereits zu Jahresbeginn vertreten und nun wieder mit blumigen Worten relativiert. Einen Schritt vor und zwei zurück. Denn für diese Umsetzung muss eine Menge Geld in die Hand genommen werden, was aber nach Abschluss der Haushaltsbilanz 2016 zweifelsohne vorhanden ist. Doch ob die Stadt bereit ist, dafür in die Tasche zu greifen, mag bezweifelt werden. Legt man die bisherige jahrelange Nichtfinanzierung der Angebote in der L14 zugrunde, bewegen sich die geforderten finanziellen Investitionen der Stadt sowohl gegenwärtig, als auch zukünftig im Bereich von Peanuts, verglichen mit dem laufenden monetären Aufwand für anderweitige prestigeträchtige Kulturinvestitionen und -institutionen. Auch sind hier erstens politischer Wille und zweitens Fingerspitzengefühl gefragt. Beides scheint nur bedingt vorhanden zu sein und so fühlen sich jetzt sowohl die Stadt Fulda als auch die Investoren offensichtlich getrieben durch die öffentliche Solidarität mit der L14 und das phantasievolle Vorgehen der dortigen Akteure. Schließlich gilt es auch, einen erheblichen Imageverlust entgegenzutreten. Nach wie vor wird das L14 nicht nur von Filmkameras begleitet, mit der Absicht, nach Ende des wie auch immer verlaufenden Prozesses einen Dokumentarfilm herauszugeben, in dem letztlich jeder gut dastehen will. Auch die wissenschaftliche Begleitung im Rahmen einer Masterthesis durch einen Studenten der Universität Kassel läuft parallel. Dort hat man das wissenschaftliche Potential eines solch urbanen Zentrums inmitten der ansteigenden Gentrifzierung erkannt. Diese Publikation ist bundesweit für die Soziologie und Stadtraumforschung äußerst interessant, zumal sie thematisch außerhalb der im Fokus stehenden Metropolen angesiedelt ist.
Doch wie es nach der vertraglichen Übergabe des kompletten Areals an die Investoren Burg & Geisendörfer ab Juli 2017 tatsächlich weitergeht, ist nicht nur eine Frage von Verhandlungsgeschick, Argumentation, Vertragsklauseln und Kontostand. Es ist vor allem eine Frage des Interesses seitens der Öffentlichkeit und eine Frage der praktizierten Solidarität!
Die Situation erinnert mich ein wenig an die Zeit des Jugendtreffs an der Ochsenwiese. Um das Esperanto nach FD zu locken wurden folgende Bereiche immens beschnitten: Der Jugendtreff selbst. Mit Außengelände, Workshopräumen, einer Jugenddisco und einem Veranstaltungsraum für Theater, Flohmärkte etc – Jahrelang kein Ersatz dafür. Die Skatehalfpipe an der Ochsenwiese. Der untere Teil der Schrebergartensiedlung. Auch hier wurde Stadtkultur für Profit eingetauscht. Und daher denke ich, dass das jetzt auch wieder so laufen wird.