
Ich hab Garten.
Ein Gastbeitrag von Stefanie Krecek.
Es gibt Menschen, die sagen: „Ich hab Rücken“ oder „Ich hab Kopf“. Ich hab eben Garten, und es tut kein bisschen weh. Das ist ja das Gute am Garten, jedenfalls an meinen Gärten. Richtig, es ist nicht nur einer, und sie gehören mir irgendwie nicht einmal persönlich. Es sind Gemüsegärten und keine Ziergärten, also Nutzgärten, sie sind sozusagen enorm nützlich für Menschen und Tiere. Und ich möchte ohne sie nicht mehr sein.
Meine Gartenvita begann nicht etwa in jungen Jahren, nein. Meine Eltern hatten zwar für kurze Zeit eine kleine Gemüseparzelle hinterm Haus, da wurde neben dem Unkraut (heute Beikraut genannt) auch ein bisschen Gemüse angebaut und hoch gepriesen, und auch meine Großmutter (92), hat bis heute ihr kleines Gemüsebeet, aber mal ehrlich, das ordentliche Jäten hat mir den Gemüsegarten dann als Kind und später als Teenager doch so vermiest, dass ich erst viel später mein Herz an das Gärtnern verlor. Aber bis heute ist es noch das Ordentliche, das Pedantische und Saubere mit dem ich im Garten nicht klar komme. Diese Ziergärten machen mich total hibbelig. Gestalterisch, künstlerisch und ästhetisch von einigen Mitmenschen als wertvoll angesehen, lösen sie in mir gewisse Ängste und vorurteilbehaftete Bilder von jungen spießigen bis alten spießigen Erwachsenen aus, die ihren Neubausiedlung-Reihenhausgarten mit allerlei exotischem Zierrat und leidenden, teuren Pflanzen pflichtbewusst, gewissenhaft, geschleckt, nett, säuberlich, akkurat, tiptop, penibel und aufgeräumt anlegen und unter immensem Zeit- und Energieaufwand pflegen oder pflegen lassen. Die für den Landschaftsarchitekten viele viele Euros ausgeben und bei denen nie Grünabfälle rumliegen dürfen, wo der Rasen auf einer bestimmten akkuraten Höhe gehalten wird – mit dem allerneuesten Hightech-Rasenmäher natürlich – und die sich dann wundern, wenn der schöne Rasen vorzeitig vermoost. Ich denke an die Menschen, die Unmengen Geld in die Gartencenter tragen, die „Balkon und Garten“, „Bloom‘s“, „Garten + Haus“, „Gartenspaß“, „LandLust“ oder andere Gartenmagazine verschlingen, an diese schrecklichen LOHAS (Abkürzung für Lifestyles of Health and Sustainability), also Menschen, die meinen sie pflegen einen ganz besonders gesundheitsbewussten und nachhaltigen Lebensstil, und sich so verdammt hip vorkommen, weil sie einen „Garten“ haben. Einen Garten mit überwiegend Rasenanteil, in dem kein Obstbaum steht, kein Beerenstrauch rankt und wuchert, kein Gemüse wächst und reift, keine wilden oder unwilden Blumen blühen, wenig Insekten summen und natürlich auch kein Kompostbehälter steht. Der stinkt, das Obst muss gepflückt werden, das Gemüse könnte sogar vor der Ernte noch in der Erde stecken (wie das eben so ist), natürlich mit Erde behaftet, kaum zu glauben, die Fingerchen könnten ja beim Ernten beschmutzt werden und außerdem muss das ja alles auch verarbeitet werden. Dazu haben jedoch anscheinend die wenigsten Zeit, obwohl sie alle gerne frisches Gemüse haben wollen.
Ich habe heute einen völlig anderen Bezug zu selbst angebautem Gemüse gewonnen. Denn meine Gärten, in denen ich mich wohl fühle und in denen ich wirke sind Nutzgärten. Sie tun mir gut, ich erfreue mich an ihnen und sie sehen zum Glück anders aus als die tadellosen Ziergärten. Hier darf es auch mal unordentlich sein. Und es gibt noch eine Besonderheit an „meinen“ Gemüsegärten: sie befinden sich mitten in der Stadt und ich bewirtschafte sie nicht alleine. Ist das nicht genial?!!
Dort, mitten in meiner Stadt, bin ich in meiner Freizeit seit 2012 in einem Urban Gardening Projekt tätig und seit 2013 arbeite ich beruflich für ein Gemüseselbsternteprojekt einer großen lokalen Handelskette. Dort wie dort wächst eine unglaubliche Vielfalt an Gemüsekulturen, verschiedenste Beerensträucher, Obstbäume, (essbare) Blumen, Sträucher und Kräuter. Bienen summen, Regenwürmer geben uns den besten Kompost und ich habe noch nie so viele Marienkäfer wie an diesen Plätzen gesehen. Wir können gemeinsam schauen wie es wächst und reift und von Ende Mai bis weit in den Herbst hinein wird das Geerntete aus dem Garten verarbeitet. Gekocht wird alles frisch aus dem Garten und kommt schwupp auf den Tisch. Es ist die reinste Freude. Frischer, biologischer, regionaler, saisonaler, unabhängiger und zudem günstiger geht es nicht. Durch das Selbstgärtnern weiß ich, woher meine Nahrungsmittel kommen und wie sie entstanden sind. Ich weiß, welches Saatgut verwendet wird und auf welchem Boden es wächst. Den Ursprung der Nahrung erlebe ich unmittelbar, und durch die Arbeit und Liebe, die ich hineinstecke, erfahre ich auch ihren wahren Wert.
Und gemeinsam macht es doppelt so viel Spaß. Mein Urban Gardening Projekt z.B. belebt lieblos und vernachlässigt behandelte Flächen für den biologischen und lokalen Gemüse- und Obstanbau im Innenstadtbereich. Hier arbeite und wirke ich zusammen mit Menschen unterschiedlichen Alters, beruflichen Hintergrunds und verschiedener Motivationen. Durch unsere unkonventionelle, selbstorganisatorische Form des Zusammenarbeitens (und es funktioniert doch!) wird mein Gemeinschaftssinn, meine Kreativität, mein Gemüsewissen und meine Lebensfreude gefördert. Auch sehe ich meine Art des Gärtnerns als politisches Gärtnern, denn die Ernährungssouveränität, die wir uns erarbeiten, befähigt uns, unsere Nahrungsmittel selbst zu produzieren und eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den Nahrungsmittelmultis zu leben.
Meine abschließende Bitte an die Menschheit: Verzichtet nicht selber auf die Freude und das Vergnügen am eigenen Gemüseanbau. Egal, ob auf der Fensterbank, dem Balkon, der Terrasse oder dem noch so kleinen Gärtchen. Egal, ob alleine oder zusammen: Baut Essbares an und keinen Rasen!
Also, ich hab Garten. Und du?
Mehr zu „meinen“ Gemüsegärten im Netz unter http://www.zeppelingaerten.de/ und unter https://www.tegut.com/saisongarten
Sehr schöner Artikel und tolles Projekt! Und so wahr, das schlimmste an den Deutschen ist dieser unglaubliche Ordnungswahn, jedes kleine grüne Spitzchen, das irgendwo aus einer Asphaltritze herauslugt, muss gnadenlos bekämpft und am besten noch mit Glyphosat oder kiloweise Salz abgetötet werden. Und „Unkräuter“ im Garten geht ja gar nicht, was sagen da bloß die Nachbarn! In Cornwall ist das z.B. ganz anders, da darf viel ganz wild am Wegesrand wachsen, und es ist wunderschön! Wenn die Deutschen nicht schnell lernen, dass Natur wild sein muss und das sogar viel schöner ist als ein geleckter, biologisch toter Rasen, dann werden wir bald keine Wildbienen, Schmetterlinge und Marienkäfer mehr haben …