Lösungen kommen aus der Nische
Ein Interview über lösungsorientierten Journalismus als Gastbeitrag – von Jens Brehl
Während in den Medien Skandale und Krisen an prominenten Stellen und zu den besten Sendezeiten präsentiert werden, mangelt es meist an Lösungsvorschlägen. Hartnäckig hält sich der Glaubenssatz, nur schlechte Nachrichten seien gute Nachrichten. Dr. Uwe Krüger von der Universität Leipzig Journalistik beschäftigt sich nicht nur mit dem Warum, sondern setzt sich darüber hinaus für einen lösungsorientierten Journalismus ein.
Jens Brehl: Was ist lösungsorientierter Journalismus und was kann er leisten?
Dr. Uwe Krüger: Wer den ganzen Tag nur mit Problemen konfrontiert ist, sieht bald nur noch schwarz. Der lösungsorientierte Journalismus hat daher soziale und ökologische Innovationen der Zivilgesellschaft im Fokus. Er kann aus der Resignation herausführen, indem er Menschen grundsätzlich dafür öffnet, dass es Lösungsansätze und engagierte Leute gibt.
Was lösungsorientierter Journalismus nicht leisten kann, sind direkte große Veränderungen im Bewusstsein und in der Lebensweise der Leute. Nicht gleich der erste Bericht über unmenschliche Methoden bei der Produktion von Billigfleisch macht mich zum Vegetarier, und auch eine sozio-ökologische Wende braucht ihre Zeit. Aber über die Jahre hinweg können lösungsorientierte journalistische Beiträge neue Themen ins öffentliche Bewusstsein rücken.
Jens Brehl: Was sind die typischen Stolpersteine?
Uwe Krüger: Journalisten sollten nicht aus Übereifer Dinge beschönigen und Projekte hochjubeln, sondern auch kritisch hinterfragen und Schwachstellen thematisieren. Das Schema „Hier ist das Problem, und das ist die Lösung und alle werden glücklich“ ist zu simpel. Wir leben in einer multikausalen Welt, in der alles mit allem verbunden ist.
Für lösungsorientierte Journalisten gelten die gleichen Regeln wie für problemorientierte: fundierte Recherche und Faktentreue. Sie sollten sich nicht zu sehr für die jeweilige Sache engagieren und einbinden lassen, denn dann kommen fast automatisch Scheuklappen, Denkverbote und Sprachregelungen ins Spiel. Wichtig ist es, sich von Werbung und PR deutlich abzugrenzen.
Generell ist es aufwendiger, sich mit Lösungsbeiträgen zu befassen, denn druckreife Inhalte kommen zurzeit nicht von den Nachrichtenagenturen. Alle Berichte müssen durch die Redaktion oder freie Mitarbeiter recherchiert und erstellt werden, wobei diese auch über das Hintergrundwissen und die nötigen Kontakte zu Akteuren verfügen müssen. Das alles kostet Zeit und Geld, was durchaus ein Hindernis sein kann – denn an beidem mangelt es in vielen Medienhäusern.
Jens Brehl: Warum ist die Maxime nur schlechte Nachrichten seien gute Nachrichten in der Medienwelt so stark verwurzelt?
Uwe Krüger: Seit Urzeiten sind wir Menschen darauf gepolt, unsere Umgebung nach Problemen und Gefahren abzusuchen, vor denen wir uns schützen müssen. Daher konzentrieren wir uns häufig auf negative Aspekte oder sie fallen uns als erste auf.
Zudem gibt es bei Journalisten auch Berührungsängste, sich mit Lösungen zu beschäftigen, denn das klassische Rollenverständnis heißt: Ich bin neutraler Beobachter und mache auf Missstände aufmerksam, für die Lösung sind andere zuständig.
Viele Berichterstatter möchten sich auch ungern aus dem Fenster lehnen, wenn eine Idee oder ein Projekt Neuland betritt und es keine Erfolgsbeispiele oder wissenschaftliche Studien darüber gibt. Oft engagieren sich in den Initiativen unbekannte Personen aus der Zivilgesellschaft, die mitunter auch als Spinner abgetan werden können.
Jens Brehl: Wie ist es in Deutschland um den lösungsorientierten Journalismus bestellt?
Uwe Krüger: In der Wochenendausgabe der taz gab es beispielsweise von April 2013 bis Oktober 2014 die feste Rubrik „Fortschritt“ über zwei Seiten, was mich grundsätzlich hoffen lässt. Die zarte Pflanze des lösungsorientierten Journalismus wächst aber eher in der Nische der Special Interest-Magazine, wie Oya, enorm oder Humane Wirtschaft. Bei etablierten Verlagen bewegt sich wenig.
So lange etablierte Medien Lösungsansätze größtenteils ignorieren, entstehen als Gegenreaktion Medien mit speziellem Fokus darauf. Dabei könnten gerade klassische Zeitungen, die an Auflage verlieren, mit Lösungsjournalismus wieder Leser gewinnen. Es gab beispielsweise drei Sonderausgaben der taz mit solchen „good news“, die sich am Kiosk überdurchschnittlich gut verkauft haben.
Jens Brehl: Welchen Beitrag können Bürgerjournalismus-Projekte wie die AGORA leisten, um den lösungsorientierten Journalismus zu stärken?
Uwe Krüger: Klassische Leitmedien haben den Anspruch, vor allem den Elitendiskurs abzubilden. Daher berichten sie bevorzugt aus den diversen Machtzentralen und sind stets auf der Suche nach Statements einflussreicher Persönlichkeiten – die wiederum kaum Interesse an systemischen Veränderungen haben, weil sie vom gegenwärtigen Gefüge profitieren. Dadurch werden Systeme und Diskurse – bewusst oder unbewusst – gefestigt und kaum hinterfragt. Der Keim der Veränderung kommt daher nicht aus dem Elitenmilieu. Fundamentale Kritik und gelebte Alternativen finden sich eher bei Graswurzelbewegungen. Daher ist auch der Bürgerjournalismus ein wichtiger Schlüssel, um Lösungsansätze in den Medien zu präsentieren.
Jens Brehl: Vielen Dank für das Gespräch.
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Das von Jens Brehl geführte Interview erschien zuvor in der Ausgabe 5/2014 der HUMANEN WIRTSCHAFT. HIER ein Link zum Artikel. Mehr von Jens Brehl gibt es HIER und HIER zu lesen.