Sensationelle Ausgrabungen zu erwarten!
Fulda vor Bonifatius – Was uns der „Spatenprofessor“ Joseph Vonderau vorausgesagt hat. – Von Dr. Wolfgang Hautumm
Die Vor- und Frühgeschichte Fuldas, sprich die Zeit vor Bonifatius und Sturmius, ist bisher wenig erforscht, denn die christliche geprägte Stadtgeschichte hat lange Zeit suggeriert, Fulda sei eine Gründung von Bonifatius und seines Schülers Sturmius. Sie seien von Hersfeld kommend die Fulda aufwärts gezogen, um einen geeigneten Platz für ein zu gründendes Kloster zu suchen. Das Gebiet der heutigen Stadt sei ihnen schließlich als geeignet erschienen.
Forschungen und Ausgrabungen des Fuldaer Heimatforschers und Lehrers Joseph Vonderau haben bereits in den Jahren 1897/98 eindrucksvolle Funde an der Langenbrücke zu Tage gebracht, die zeigen, dass die Siedlungsgeschichte der Stadt bis weit in prähistorische Zeit reicht. Sturmius und Bonifatius haben keine unerschlossenen Gegenden erkundet. Etwas weiter flussabwärts, vielleicht beim heutigen Hemmen, haben sie badende Slawen angetroffen. Eigil, der Chronist des Sturmius schreibt: „Als er (Sturmius) so dahin zog, gelangt er eines Tages an die Straße, auf welcher die Kaufleute von Thüringen nach Mainz ziehen, und gerade an der Stelle, wo sie über die Fulda führt, traf er eine große Menge Slawen, die im Flusse badeten. Bei dem Anblick der nackten Körper scheute das Tier, auf welchem der Heilige saß, und ihm selbst erregte der Schmutz der Barbaren Abscheu. Nach Heidenart verhöhnten sie den Diener des Herrn und zeigten sogar Lust ihn zu schädigen, aber Gottes Macht hielt sie zurück. Einer aus dem Haufen, ihr Dolmetscher, fragte den Pilger, wohin er wolle. Dieser gab zur Antwort: „In den oberen Teil der Einöde.““
„Das Heilige klebt!“
Folgt man dem markanten Ausspruch des bedeutenden Historikers Theodor Mommsen: „Das Heilige klebt!“, so darf man vermuten, dass da, wo missionierende Christen ihre Klöster und Kirchen errichtet haben, oftmals bedeutende vorchristliche Heiligtümer und Kultstätten existierten.
1897 wollte der Fabrikant Richard Schmitt, damaliger Besitzer des Geländes der Langebrückenstraße 14, in seinem Garten einen Brunnen anlegen. Während der Schachtarbeiten stießen seine Arbeiter in 2,5 – 3 m Tiefe auf zahlreiche Funde, vor allem auf Reste von Holzpfählen/Pfahlbauten und auf zahlreiche Tierknochen. Leider wurde Josef Vonderau erst nach Abschluss der Arbeiten informiert und konnte daher keine detaillierten Schichtbefunde mehr dokumentieren. Allerdings erschienen die Artefakte so bedeutend, dass Richard Schmitt einer regulären Ausgrabung in seinem Gartengelände zustimmte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren bereits an mehreren anderen Stellen im Bereich der Langenbrückenstraße archäologische Funde zutage gekommen. Ob es Reste einer hölzernen Brücke über den Fluss waren, konnte damals nicht geklärt werden.
Joseph Vonderau stellte schließlich bei der Stadt Fulda einen Antrag, um eine größere Ausgrabung durchführen zu können. Die Behörden bewilligten insgesamt 1900 Mark für seine Grabungen und die Präsentation der Funde im Museum. Fabrikant Schmitt war begeistert und förderte die Ausgrabungen in jeder Hinsicht, obwohl sie seine unternehmerischen Tätigkeiten durchaus erschwerten. Vonderau schreibt: „Herr Fabrikant R. Schmitt bekundete ein solches Interesse für die Grabung, dass er seinen schönen Garten bereitwilligst für die vorzunehmenden Untersuchungen überließ. Es ist diese Selbstlosigkeit des Herrn Schmidt in Anbetracht des großen Fabrikbetriebes und der durch die umfangreiche Ausschachtung oft hervorgerufenen Unannehmlichkeiten und Störungen nicht hoch genug anzuschlagen.“
Auf Schmitt’s Gelände wurden in der Folgezeit insgesamt 12 Schnitte eröffnet, die weitgehend in Nord-Süd-Richtung in seinem Garten lagen. Joseph Vonderau war auch bereits so weitsichtig, dass er alle zugänglichen Disziplinen zur genaueren Bestimmung der Funde zu Rate zog: Botaniker, Geologen, Archäologen, Apotheker…
Was wurde von Joseph Vonderau ausgegraben?
Die besonderen Bodenverhältnisse haben erstaunlich viele gut erhaltene Holzfunde zutage gebracht: in fast jedem seiner Schnitte wurden Holzpfähle von ehemaligen Pfahlbauten gefunden. Vielleicht sind wir hier in der Pfahlbausiedlung gelandet, der urältesten Besiedlung Fuldas. Es wäre eine Sensation! Außerdem wurden mehr als 500 kg Tierknochen geborgen, Reste von Pflanzen, Pferdemist, Steinwerkzeuge und vieles andere. Die Erhaltung war hervorragend, weil eine luftabschließende Moor- und Torfschicht die Zersetzung verhindert hatte. Allerdings waren die Methoden der Konservierung von Holz im 19. Jh. noch nicht vergleichbar mit den heutigen Möglichkeiten. Das Holz – vor allem die Stämme der Pfahlbauten – ist großenteils noch während der Ausgrabung durch den Kontakt mit Sauerstoff zu Staub zerfallen. So können wir uns glücklich schätzen, dass Vonderau nicht die gesamte Siedlung freigelegt hat und sich uns heute eine neue Chance bietet. Denn inzwischen gelingt es sehr gut, Holzfunde dauerhaft zu konservieren. Und vor allem sind Holzfunde inzwischen dendrochronologisch (s. Kasten) aufs Jahr genau datierbar. Auf diese Weise werden absolute Datierungen der Pfahlbauten an der Langebrücke möglich. Eine weitere Datierungsmethode, die Joseph Vonderau noch nicht zur Verfügung stand, ist die C14-Datierung (siehe Erklärung unten), die bei organischen Funden, z. B. bei Kochen und Holz, absolute Daten liefert.
Was ist von weiteren Grabungen zu erwarten?
Vonderau schreibt: „Auch jene Flächen sind ersichtlich, die trotz der Bereitwilligkeit des Herrn Schmidt mit Rücksicht auf den Fabrikbetrieb etc. nicht in Angriff genommen werden konnten. Unter dem Weg und auch zwischen dem Gartenhaus und Schacht XI liegen noch viele Reste, ebenso ist weder in nördlicher noch südlicher Richtung das Ende der Niederlassung erreicht. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass zu geeigneter Zeit auch die hier noch lagernde Kulturschicht gehoben werden kann.“ Dieser Zeitpunkt scheint jetzt gekommen und sollte als einzigartige Chance betrachtet werden, die Vorgeschichte Fuldas vor Bonifatius weiter zu erhellen. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahren in unverantwortlicher Art und Weise entscheidende Flächen in diesem Umfeld auf Jahrzehnte hinweg versiegelt worden sind – ich denke an Neubauten zwischen der Langebrückenstr. und der Weimarer Straße, die ohne vorherige archäologische Untersuchungen des Baugrundes errichtet wurden. Sehr schnell wurden dabei vollendete Tatsachen geschaffen und der Baugrund ausgehoben bzw. versiegelt, ohne archäologische Begleitung. Das ist unverantwortlich und ein Vergehen an der Heimatgeschichte!
Auch wenn Joseph Vonderau vor 120 Jahren vorbildhaft und wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit ausgegraben hat – er dokumentierte akribisch, nutzte die Keramik als archäologisches Leitfossil und führte Pollen- und Schichtbeobachtungen durch -, so gibt es doch heute zahlreiche neue und genauere Untersuchungsmethoden, die viele neue Erkenntnisse erwarten lassen. Und natürlich auch, was die Abfolge der Besiedlung und die Datierung der Funde anbelangt, sind wesentliche neue Erkenntnisse zu erwarten. Vonderau datierte die Funde beginnend von der Jungsteinzeit über die Römerzeit (Terra Sigillata) bis ins frühe Mittelalter.
Erst die Archäologen, dann die Investoren!
Das Areal Langebrückenstr. 14, der Abriss der ehemaligen Fabrikhallen von Richard Schmitt bietet jetzt die einmalige und einzigartige Chance, mit einer großflächigen Ausgrabung endlich Licht in das Fulda vor Bonifatius zu werfen. Da die Fundschichten bei Vonderau so tief lagen, ist zu hoffen, dass das vorchristliche Fulda auch unter den Schmitt’schen Fabrikhallen unzerstört bewahrt ist. Die ganze Stadt darf gespannt sein, was hier zutage kommen wird.
Es käme einem Verbrechen an unserer Vergangenheit gleich, diese Chance ungenutzt zu lassen. Auf keinen Fall dürfen unkontrolliert die Bagger zum Einsatz kommen. Es gilt achtsam zu sein. Immer öfter werden an Samstagen – wenn keine Aufsichtsbehörden im Dienst sind – vollendete Tatsachen geschaffen. Das gilt es zu verhindern! Bürger, seid wachsam! Und auch die Behörden, der Fuldaer Geschichtsverein und der Archäologische Dienst mögen diese einmalige Chance ergreifen, die Fuldaer Frühzeit zu erkunden. Immerhin sind Vorderaus Grabungen damals als erste Veröffentlichung des Fuldaer Geschichts-Vereins publiziert worden.
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Erklärung:
Dendrochronologie
Altersbestimmung von Holz mithilfe der Breite und Beschaffenheit der Jahresringe. Der Begriff leitet sich ab von griech. δένδρον déndron „Baum“, χρόνος chrónos „Zeit“, λόγος lógos „Lehre“, „Wissenschaft“; also „Lehre/Wissenschaft vom Baumalter“ und wurde erstmals angewendet von dem amerikanischen Astronomen Andrew Ellicott Douglass (1867–1962).
Die Jahresringe von Bäumen wachsen jedes Jahr unterschiedlich stark, abhängig vom Klima. Da für alle Bäume einer Art die Lebensbedingungen regional annähernd gleich sind, weisen alle Bäume einer Art dieser Region etwa die gleiche charakteristische Abfolge von schmalen und breiten Jahresringen auf. Trägt man diese in eine Kurve ein, so entsteht eine regional gültige eindeutige Kurve, mit deren Hilfe man dann das Alter weiterer Hölzer bestimmen kann. Durch die Überlagerung der Kurven vieler Bäume entsteht eine Baumringabfolge (Jahrringchronologie), die aufgrund der überlappenden Lebenszeiten der Bäume viele Jahrtausende abdecken kann. In Mitteleuropa gibt es inzwischen dendrochronologische Kurven, die lückenlos über 12.000 Jahre abdecken.
Peter Klein, Dieter Eckstein: Die Dendrochronologie und ihre Anwendung. In: Spektrum der Wissenschaft. 1, 1988, ISSN 0170-2971, S. 56–68.
Zur Geschichte der Dendrochronologie: Franz Krojer: Chronologie der Dendrochronologie Differenz-Verlag, München 2014, auch als PDF im internet.
C14-Analyse oder Radiokarbonmethode
Methode zur Altersbestimmung von abgestorbenen Organismen, z. B. von Holz oder Knochen, möglich bis zu einem Alter von rund 60.000 Jahren.Man bestimmt in abgestorbenen Organismen die Menge an gebundenen radioaktiven C14-Atomen, die gemäß dem Zerfallsgesetz abnimmt (Halbwertszeit 5730 Jahre). Entwickelt wurde die Radiokarbondatierung 1946 von Willard Frank Libby, der dafür 1960 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. Die Radiokarbondatierung wird in der archäologischen Altersbestimmung, Archäobotanik und Quartärforschung angewandt.