Wutprobe

Geht das Abendland jetzt unter?

Linksversiffte Kinderficker. Das schrieb ein Facebook-Nutzer im November 2016 als Kommentar unter die Ankündigung einer neuen Ausgabe der AGORA auf unserer Facebook-Seite.

Zuvor hatte der gleiche Nutzer schon ein paar Mal missmutig und mit wütenden Stimmungsanzeigen auf Beiträge und Veranstaltungshinweise zum Thema Flüchtlinge oder Antisemitismus reagiert. Jetzt aber ging es richtig los. Er ordnete die gesamte Redaktion kurzerhand der grünen Partei zu (was nicht der Fall ist), bombardierte unsere Seite mit geschmacklosen Bildchen von grünen Kothaufen und kotzenden Emojis*, und sparte auch nicht mit plastischen pädophilen Zuschreibungen. Dafür bekam er dann Likes* und Zustimmung aus seinen Kreisen. Auch ein anderer Kommentator hatte uns schon als infantile linkspopulistische Gutmenschen, erbärmliche Naivlinge oder Stadtschisser beschimpft, weil wir nicht die gleichen Ansichten zum Thema Windkraft oder Flüchtlingspolitik teilen – übrigens die beiden Themen mit dem größten Aufregungspotential unter unseren Nicht-Fans. Wir reagierten zunächst mit ein paar – wie wir fanden – witzigen Bildchen und Antworten, versuchten es mit Argumenten und Sachlichkeit und pöbelten auch hier und da genervt zurück. Das alles führte zu nichts, Wut und Beleidigungen wurden weiter über uns ausgekübelt. Wir diskutierten die Sperrung solcher Nutzer versus das Gebot der Meinungsfreiheit, wollten aber unsere Seite auch nicht als Plattform für diesen wirklich schlechten Umgangston und das Verbreiten von Hassbotschaften zur Verfügung stellen. Und wir fragten uns – wer sind „die“? Wer betreibt da einen solchen Aufwand und schreibt uns zehn und mehr Nachrichten am Tag? Sind das die „besorgten Bürger“, die sich endlich mal Gehör für ihre Anliegen verschaffen wollen, und was wollen die eigentlich von uns?

Um das herauszufinden, besuche ich die Seite des Menschen, der uns die meisten und übelsten Kommentare zukommen ließ. Als Profilbild verwendet er das Parteilogo der AfD und macht in langen Statements zur Lage der Nation auch immer wieder Wahlwerbung für die AfD.

In einer Mischung aus Faszination und Ekel besuche ich die Seite nun über mehrere Monate fast täglich. Am Ende geht es mir nicht mehr besonders gut.

Es ist, als hätte ich die Büchse der Pandora geöffnet. Mir schlagen purer Hass und unverhohlene Aufrufe zur Gewalt gegen Politiker aller Art (gegen die Bundeskanzlerin, Grüne und Linke aber im Besonderen), gegen die vermeintliche „Lügenpresse“, gegen sogenannten Gutmenschen im Allgemeinen und gegen alle Geflüchteten, Nicht-Deutsche und Muslime im Besonderen entgegen.

Täglich erscheinen bis zu 50 Beiträge, meistens „Nachrichten“ und geteilte Inhalte anderer Seiten in verschiedenen Variationen oder einfach auch in Wiederholung mit folgenden Botschaften:

• Alle Flüchtlinge begrapschen / belästigen /vergewaltigen deutsche Frauen.
• Alle Flüchtlinge sind Straftäter / Islamisten / Terroristen, in jedem Fall hochgefährlich, vor allem in der U-Bahn und in einer Anzahl größer eins.
• Alle Flüchtlinge sind gar keine echten Flüchtlinge, sondern Sozialschmarotzer.
• Ganz Afrika ist auf dem Weg nach Deutschland.
• Das Abendland wird untergehen, der Islam wird die deutsche Kultur verdrängen und uns alle zu Burkaträgern machen.
• Der Islam ist vom Teufel.
• Angela Merkel plant die Umvolkung, will also das deutsche Volk durch Flüchtlinge ersetzen.
• Alle grünen Politiker sind pädophil.
• Alle öffentlich-rechtlichen Medien lügen.

Als Beweis für diese steilen Thesen erscheinen, nur zum Beispiel, täglich „Meldungen“ über Vergewaltigungen und Messerstechereien unter Beteiligung mindestens „dunkelhaariger“ Personen, der eigentliche Sachverhalt bleibt häufig unklar, die gleiche Meldung wird mehrmals am Tag in verschiedener Aufmachung präsentiert, so verstärkt sich der Eindruck einer omnipräsenten Gefahr.

Eine Recherche zu den Quellen dieser „Nachrichten“ und geteilten Beiträge ergibt, dass eine Vielzahl dieser Quellen Verbreiter sogenannter Fake-News* oder gleich Organisationen mit einem rechtsextremen Hintergrund zuzuordnen sind, und manche dieser „Nachrichten“ schlichtweg erfunden oder aus dem Zusammenhang gerissen und ideologisch eingefärbt sind. Auch die gerne präsentierten Kriminalstatistiken werden nicht differenziert oder im Kontext absoluter Zahlen betrachtet, sondern einseitig interpretiert.

Ein Screenshot der Facebookseite von “Christian Baumgarten”

Die zahlreichen Kommentatoren und Freunde der Seite scheint dies jedoch nicht zu stören. Sie sehen ihre schlimmsten Befürchtungen und Vermutungen bestätigt und reagieren mit hasserfülltem Wüten auf jede Meldung, wobei sie sich gegenseitig übertreffen. Als Kommentar auf die Meldung „12 junge Männer im Alter von 16 – 30 mit schwarzen Haaren und dunklem Teint treten in Gelsenkirchen auf 16jährige Jugendliche ein und berauben sie“, schreibt Freddy: „Wird mal Zeit das man die ausrottet, das Gesockse.“ Worauf Bodo antwortet: „Dauert nicht mehr lange!!! Dann drehen wir den Spieß um!!!! Und sie müssen Angst haben.“ Und Wolfrum legt drauf: „Hat jemand ein MG übrig?“

Und so geht es weiter. Jeder der täglich dreißig bis vierzig Beiträge, die häufig auch die vermeintlich drohende Islamisierung Deutschlands zum Inhalt haben, wird geteilt, weiter verbreitet und kommentiert, zehnmal, zwanzigmal, die Schreiber nehmen kein Blatt vor den Mund, toben und kotzen sich aus, was das Zeug hält. Tag für Tag, Woche für Woche.

Beitrag: „Millionen Afrikaner wollen für Arbeit ihr Land verlassen.“ – Kommentar: Birgit: “Für Arbeit…der war gut… wenn Vergewaltigung, Raub, Überfälle und Mord Arbeit sind…“ (es folgen Bilder von Kothaufen). An anderer Stelle: Walter: „Wir würden eher an Flora und Fauna auf der Venus glauben, als an utopische Integration auf heiligem deutschen Boden. Die schäbigen Insekten können sich nach dem Gott-Naturgesetz nicht integrieren in hoch zivilisierte menschliche Gesellschaft… Niiiiiiiiiiiiiiieee!“ Thomas: „Anhalten, das Dreckspack bitte vor den Zug legen und weiterfahren… allseits gute Fahrt gewünscht…“ Peter: „Wie diese Nafri-Affen zu erreichen sind? Ganz einfach mit dem Gummiknüppel, manchmal geht auch ein Basie…“ Gerd: „Den Dreck endlich entfernen! Das Pack muss endgültig raus.“ Manfred: „Der Tag wird kommen…“ Joe: „Geht zurück in eure Höhlen, ihr Kopftuchdrosseln, haut ab“.

Auch für Politiker gibt es keine Gnade: C. Baumgarten: „Sollte irgendwann ein Mensch Selbstjustiz verüben und diesen unerträglichen (Dreckspack) Gabriel um die Ecke bringen, dann könnte ich es ihm nicht verübeln und mildernde Umstände sind ihm bestimmt sicher…“ Fritz: „Frau Merkel gehört gerädert und danach noch gekreuzigt. ES REICHT.“ C. Baumgarten: „Ich bin auch enttäuscht, also darf ich jetzt die rot rot grün versifften Politiker anzünden?“ Frank: „Ja Christian das darfst du, wir verschaffen dir Strafmilderung ;)“ Klaus J.: „Auja, darf ich auch mitmachen?“ Jens: „Das sind und bleiben Ratten.“ Und so weiter und so weiter.

Dazwischen widerwärtige Bilder und Karikaturen, beliebt auch Fotos von Totschlägern und anderen Waffen, und immer wieder auch Nazi Symbole und Sprüche in Runenschrift.

Zuerst belächle ich diese dubiosen „Wutbürger“ etwas. Manche Pseudonyme (Metty Hack) sind einfach zu dämlich gewählt. Werden schon so arme Würstchen sein… Dann nehme ich sie probeweise ernst. Und ernster. Ich bekomme ein ungutes Gefühl, kann aber nicht aufhören, täglich weiter zu lesen, ungläubig vor so viel Hass und Gewaltfantasien mitten unter uns. Was ich lese, stößt mich ab, verstört mich, macht mir Angst. Denn ich bin in deren Augen eins der linksversifften Ziele ihres Hasses. Sowas wie mich will man verjagen, anzünden oder mal so richtig durchficken. Ich frage mich, wer genau schreibt da eigentlich, mit Klarnamen oder auch unter einem Pseudonym? Ich schaue mich auf den Profilseiten der Kommentatoren um, sehe ganz normale Leute, die mal mit einem Sportwagen, mal mit einem Dackel und mal vorm Meer posieren, oder die Deutschlandfahne, das AfD-Logo oder ein „Merkel-muss-weg“ Piktogramm als Profilbild benutzen. Was für Menschen sind das? Ich werde misstrauisch. Der da vor mir an der Kasse, dunkles Hemd, gut geputzte Schuhe, stechender Blick – sieht der nicht aus wie jemand, der alle Gutmenschen vor den nächsten Zug werfen will? Oder die da in weißem Sweatshirt und Neon-Turnschuhen mit dem verkniffenen Zug um den Mund – könnte das nicht die Frau sein, die auf facebook allen Kamelfickern die Eier abschneiden will? Oder vielleicht ist der mit dem ungepflegten grauen Haar und der speckigen Lederweste, der sich dauernd so nervös umschaut auch der, der die Kanzlerin gerne totsteinigen würde?

Ich überlege ernsthaft, ob es an der Zeit wäre, einen Selbstverteidigungskurs zu besuchen, oder (nicht ganz so ernsthaft) lieber gleich einen Waffenschein? Ich will mich wehren können, wenn der Hass aus der virtuellen Welt in die reale Welt schwappt und dann auch mich trifft.

Dann beruhige ich mich wieder. Das sind doch nur einige wenige, die da im Netz ihren Frust ablassen. Hunde die bellen, beißen nicht. Ich beschließe, mir diesen Müll nicht länger anzutun. Sollen sie doch auf ihren Seiten pöbeln und ihre Gewaltfantasien ausleben, ich werde das einfach nicht mehr lesen – schon geht es mir besser.

Und dann erzählt mir eine Freundin, dass Aya, die junge Frau aus Syrien, die für die AGORA mal ein berührendes Gedicht über die Sehnsucht nach ihrer Heimat geschrieben hatte, im Zug nach Gersfeld von einem Mann und einer Frau beschimpft und bedroht wurde, mit genau den Worten, die ich auch auf dieser facebook-Seite gelesen habe: „Dummes Kopftuchweib. Hau bloß ab, wo du hin gehörst, sonst passiert was…“

Aya hatte Glück. Eine Jugendliche und der Zugbegleiter kamen ihr zur Hilfe. Die Jugendliche stieg sogar mit ihr aus und begleitete sie nach Hause, weil Aya solche Angst hatte.

Wie groß oder besser wie klein ist der Schritt vom geschriebenen Wort zur Tat? Wann werden die Menschen, die da im Schutz des Internets so unverblümt ihre hässliche Fratze zeigen und alle Regeln des Anstandes fallen lassen, auch im alltäglichen Umgang ihre gute Kinderstube vergessen?

Und ist das nicht der wahre Untergang des Abendlandes, den sie eigentlich die ganze Zeit befürchten? Sie rufen zur Gewalt auf, wollen Politiker lynchen, bezeichnen Andersdenkende und Andersglaubende ganz selbstverständlich als Dreckspack, missachten die Menschenwürde, betreiben Volksverhetzung und rufen dann ernsthaft nach einer deutschen Leitkultur?

Für alle vermeintlich auf unsere freiheitliche Gesellschaft und das deutsche Wesen zukommenden Gefahren und auf alle drängenden Fragen unserer Zeit kennen die Bodos und Peters und Birgits dieser und anderer Facebook-Seiten nur eine Antwort: Wählt die AfD! Die AfD wird uns und die deutsche Kultur beschützen, sie wird endlich das Volk bestimmen lassen und das ist dann die wahre Demokratie. Die AfD ist die einzige Partei, die unsere Ängste ernst nimmt.

Dabei ist es die AfD, die diese Ängste massiv schürt und über die sozialen Medien und ihre Wahlkampagnen das Bild vom vergewaltigenden, mordenden Flüchtling und der drohenden Islamisierung Deutschlands herauf beschwört.

Damit liefert sie die Grundlage für die Ausschweifungen der Hasskommentatoren und trägt über Sprache und Bilder zur Verrohung im gesellschaftlichen Umgang bei. Unter dem Deckmantel „das wird man ja wohl sagen dürfen“ hält klar rechtsextremistisches Gedankengut Einzug in die sozialen Medien und in die politische Debatte. Die AfD distanziert sich nicht von ihren rechtsextremen und gewaltbereiten Anhängern, ganz im Gegenteil. Die Bemühungen des Justizministers Heiko Maas, solche Hasskommentare mit durchaus strafrechtlich relevanten Aussagen schärfer zu verfolgen, kommentiert Beatrix von Storch am 16.3.2016 so: „Maas‘ Facebook Zensur Gesetz: Jetzt wird es totalitär. Der Justizminister legt die Axt an unsere Demokratie.“ Frauke Petry gratuliert Donald Trump zum Wahlsieg mit den Worten: „Die political correctness ist am Ende.“ Und Alexander Gauland will die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özuguz, „in Anatolien entsorgen“ lassen. Für diese Äußerung in der Sprache der Hetzer auf einer Wahlkampfveranstaltung in Thüringen im August 2017 wird er von vielen Anhängern in den sozialen Medien gefeiert – während der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer den AfD-Spitzenkandidaten dafür wegen Volksverhetzung angezeigt hat. Er erhielt nach eigenen Angaben hin daraufhin zahlreiche E-Mails mit Beleidigungen und sogar Morddrohungen. Auch die Aufforderung von Gauland, Frau Özoguz ins Eichsfeld einzuladen und ihr “zu sagen, was deutsche Kultur ist”, woraufhin sie “nie mehr wieder herkommen wird”, sei eine mit einer Andeutung von Gewalt hantierende Formulierung, so Fischer. Es bestehe außerdem der Verdacht einer Verletzung der Menschenwürde durch Beschimpfen und böswilliges Verächtlichmachen. Der Ex-Bundesrichter betont, am Vorsatz des Beschuldigten, der promovierter Jurist mit zwei Staatsexamen ist, könne kein ernsthafter Zweifel bestehen: „Er weiß, was er tut und sagt. Er tut dies, um genau den rechtsradikalen Teil seiner Anhängerschaft zu bedienen, der begierig auf derartige Andeutungen wartet und sie frenetisch feiert.“ (vgl. faktenfinder.tagesschau.de vom 31.08.2017)

In diesem Herbst zieht die AfD in den Bundestag ein, zu einem großen Teil gewählt von Menschen, die unseren Rechtsstaat nur noch bedingt anerkennen, und von Menschen, die sich von den Werten des von ihnen doch angeblich verteidigten Abendlandes längst verabschiedet haben – ebenso wie scheinbar auch die Parteivorsitzenden selbst.

Wer – aus welchem Grund auch immer –dieser Partei seine Stimme gibt, muss sich klar sein, in wessen Gesellschaft er sich damit begibt und welche Art der politischen Kultur er damit fördert.

Als ich begann, mich im November 2016 mit der Seite der AfD-Anhänger zu beschäftigen, tummelten sich dort rund 1000 „Freunde“. Als ich die Seite im Juni 2017 das letzte Mal besuchte, waren es 7700. Plötzlich war die Seite dann nur noch für eingeladene Freunde sichtbar, kurz danach verschwand das Profil ganz. Es hatte sich durch die Verfolgung einer Strafanzeige gegen den Seiteninhaber heraus gestellt, dass der Betreiber der Seite keine real existierende Person war, sondern hier wohl mehrere Gesinnungsgenossen gemeinsam ein falsches Profil erstellt hatten, um sich darüber möglichst breit zu vernetzen. Das ist ihnen gelungen. Es gibt viele solcher Seiten im Netz, manche verschwinden, manche tauchen neu wieder auf.

Immer wieder beklagen sich AfD-Anhänger, über die sogenannte „Nazi-Keule“ und wundern sich, dass ihnen rechtsextreme Haltungen vorgeworfen werden. So schreibt dieser Nutzer auf facebook: „Noch viel mehr spalten tun jedoch unsere grün-links verorteten Menschen, sie sorgen dafür, dass die Hälfte der Bevölkerung stigmatisiert und in die rechte Ecke geschoben wird. Warum werden z.B. Anhänger der AfD radikal genannt? Weil sie realistisch sind? Weil sie sich Sorgen machen? Weil sie ihre Meinung äußern oder weil sie vielleicht auch manchmal die unbequeme Wahrheit beim Namen nennen?“ – Möchte ihm jemand diese Fragen jetzt beantworten?

Auch Aya wehrte sich übrigens gegen die verbale Attacke im Zug – der Zugbegleiter hatte das pöbelnde Paar erkannt und Aya erstattete Anzeige. Wir haben uns entschieden, Hetz- Kommentatoren auf unserer Seite keinen Raum zu geben und solche Schreiber schnell zu sperren. Andere Meinungen und Kritik sind willkommen, Hass und Gewalt nicht. Wie Sie sonst noch mit Hasskommentaren umgehen können, lesen Sie z.B. sehr gut aufbereitet bei no-hate-speech.

Screenshot der Startseite von no-hate-speech