Es hätt so schee könnt gesei!

Es hätt so schee könnt gesei!

Stell dir vor, du besitzt eine recht große freie Fläche in deiner Stadt, die du neu bebauen darfst. So richtig mit allem Drum und Dran. Mit Häusern und Plätzen und Wegen und Bäumen. Du kannst ein ganzes Quartier auf lange Sicht neu entwickeln und prägen, und dabeiEinfluss nehmen, auf die Art, wieMenschen hier zusammen leben und arbeiten. Du kannst einen Ort schaffen, an dem Menschen sich gerne aufhalten und gelebte Nachbarschaften entstehen. Einen Ort, der genau deshalb zukunftsfähig, kommunikativ und integrativ ist und deiner Stadt neue Impulse gibt. Eine große Chance und auch eine große Verantwortung, die du da hast. Was tust du also?

Sicher legst du nicht einfach los. Wahrscheinlich machst du dir zuerst einige Gedanken, überlegst dir, worauf genau es ankommt. Wie fügt sich dein Vorhaben in das Bestehende ein? Für wen baust du eigentlich?Wem fühlst du dich verpflichtet,welchem Auftrag verbunden? Was braucht deine Stadt, jetzt und für die Zukunft? Und wie lässt sich das finanzieren? Wahrscheinlich merkst du, dass du diese Fragen nicht alleine beantworten kannst und du gute Berater und einen soliden Plan benötigst, damit dein Bauvorhaben gut wird. Du möchtest etwas schaffen, dass dich überdauert und deine Stadt auf lange Sicht besser macht. Genau so geht Stadtplanung. Oder?

In bester Absicht

Die Stadt Fulda erwarb im Jahr 2010 das Grundstück an der Dalbergstraße, das einst zum Betriebsgelände der Firma Weisensee Warmpressteile GmbH und später der Bundesbank gehörte. Lange Zeit schon lag das Grundstück brach. Im Boden waren giftige Altlasten gefunden worden. Hohe Konzentrationen an Chrom und polycyclischen Kohlenwasserstoffe mussten erst entsorgt werden, bevor hier gebaut werden konnte. An solchen Komplikationen sind private Investoren nicht interessiert.

Mit dem Kauf des Problemgeländes hatte die Stadt damit im Rahmen des lange geplanten Stadtumbaus Südliche Innenstadt die Planungshoheit gewonnen. Zuvor hatte sie bereits 2005 einen Masterplan für das Gebiet erstellen lassen, auf dessen Basis ein Bebauungsplan erstellt wurde. Der Masterplan bot verschiedene Optionen der Gestaltung an, um die Lebensqualität des Quartiers zu heben. So sollte durch einen durchgängigen Bauriegel der Verkehrslärm der Dalbergstraße abgeschirmt werden. Die Erdgeschosszonen sollten sich mit einer Ladennutzung zum Straßenraum öffnen. Vor allem forderte er private und öffentliche Grünflächenin den Blockinnenräumen, familienfreundliches Wohnen und Woh- nen für ältere Menschen. Der Plan skizzierte auch gemischt genutzte Quartiere für Wohnen, Gewerbe, Einzelhandel, Dienstleistungs- und Vorsorgeeinrichtungen und stellte Angebote für Freizeit, Sport, Bil- dung und Kultur in Aussicht. Klang alles gar nicht schlecht.

Warum also stehen wir heute mit dem Werner-Tower und der umliegenden Quartiersgestaltung vor einer Wirklichkeit, in dem sich die vielversprechenden Visionen des Masterplans so unvollkommen wiederfinden lassen?

Wir erinnern uns:

2011/2012 führten die Offenlegung des Bebauungsplans und das anschließende Interessenbekundungsverfahren zu einem Wettbewerb, an dem sich von ursprünglich sieben Interessenten schließlich fünf Investorengemeinschaften in Kooperation mit jeweils einem Architekturbüro beteiligten. Grundlage für den Wettbewerb war unserem Wissen nach die 1. Offenlegung des Bebauungsplans (B-Plan) von 2011, der wiederum auf der Masterplanung Südliche Innenstadt basierte. In dem B-Plan heißt es unter anderem: Die Masterplanung sieht in diesem Bereich ein gemischt genutztes städtische Quartier vor, für Wohnen, Gewerbe und Dienstleistungen mit einer IV-V geschossigen Bebauung entlang der Dalbergstraße.

Bild: Masterplanung „Südliche Innenstadt“ von Sichau & Walter Fulda, Planergruppe Oberhausen, Schultze&Schulze, Kassel

Die fünf eingereichten Entwürfe wurden dem Gestaltungsbeirat vorgelegt und man entschied sich für das Vorhaben der Firma Werner GmbH und Co. KG, die das Architekturbüro Reith&Wehner mit der Planung beauftragt hatte.

Bemerkenswert daran ist, dass sich alle eingereichten Entwürfe an die Wettbewerbsvorgaben auf Grundlage des zuvor verabschiedeten Bebauungsplans und des ursprünglichen Masterplans gehalten hatten – alle bis auf einen, den Gewinner des Wettbewerbs.

Die Frage sei an dieser Stelle erlaubt: Warum wirft ein Entscheidungsgremium, in diesem Fall der Gestaltungsbeirat und der Magistrat der Stadt, in seiner finalen Entscheidung viele der Kriterien über Bord, die man zuvor in einem soliden, langwierigen, kostspieligen und arbeitsintensiven Planungsprozess aufgestellt hat? So ein Bebauungsplan ist schließlich das juristisch wirksamste Instrument, das den politisch Verantwortlichen zur Verfügung steht. Mit ihm kann verhindert werden, dass Investorenträume zu Lasten der Lebensqualität der Stadtbevölkerung in den Himmel schießen. Der Siegerentwurf dagegen überzeugte offenbar auch dadurch, dass er die Höhenvorgaben des Wettbewerbs ignorierte. Damit alles dennoch seine liebe Ordnung hatte, wurde fix die Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung eingeholt, die übrigens mit Ausnahme der Linken.Offene Liste grünes Licht gab. Die Fraktionen von CDU und FDP stimmten geschlossen für die von Magistrat und Fachausschuss favorisierte Variante, auch aus den Reihen von SPD, Grünen und CWE gab es mehrheitliche Ja-Stimmen. Dass die Firma Werner versprach, ihren Firmensitz nach Fulda in das neue Gebäude zu verlegen und damit Steuereinnahmen und Arbeitsplätze in Aussicht stellte, dürfte dem ein oder anderen Abgeordneten bei der Entscheidungsfindung geholfen haben, einer Änderung des Bebauungsplans im Nachhinein die Zustimmung zu erteilen.

Doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Nachdem die Firma Werner den Zuschlag erhalten hatte, und der Bebauungsplan angepasst war, fiel dem Investor auf, dass sich das ganze Vorhaben in dieser Form ja doch nicht verwirklichen lasse. Die Höhe müsse noch einmal angepasst werden. Auch würden nicht hauptsächlich Büroräume für die Werner Holding entstehen, sondern lukrativ sei das Projekt nur mit dem Einzug eines Hotels. Was einmal klappt, klappt auch zweimal, und so wurden erneut eilfertig dem Investor alle dafür benötigten Genehmigungen nachträglich zu Füßen gelegt.

Der genaue Verlauf dieser Entscheidungen bleibt nebulös. Dass das Gebäude nunmehr nur noch zu einem sehr geringen Teil einer Tochtergesellschaft der Werner-Gruppe als Firmensitz dienen sollte, haben manche Stadtverordneten wohl zum Teil erst nach den Beschlüssen zum Grundstücksverkauf und zur Änderung des Bebauungsplans erfahren. Jedenfalls äußerten sich im Anschluss Vertreter der SPD, der GRÜNEN und von Die Linke.Offene Liste öffentlich empört:

SPD-Vize Bernhard Lindner tat auf Osthessennews kund, das Verfahren habe ihm nicht gepasst. Die Stadtverordnetenversammlung sei in eine schnelle Zustimmung zum Antrag, das geplante Gebäude noch höher zu bauen, gedrängt worden.

Grünen-Fraktionschef Ernst Sporer kritisierte, aus seiner Sicht habe sich die Stadt von dem Investor treiben lassen, das Interessenbekundungsverfahren sei letztlich ungerecht gewesen, da nicht alle Interessenten die Gelegenheit hatten, ihre Entwürfe zu überarbeiten, ohne sich an die ursprünglichen Vorgaben halten zu müssen. (vgl. dazu den Beitrag „Mit Kalkül ungerechtes Verfahren? Ärger um 36-Meter hohen WERNER-Tower“ Osthessennews 19.11.2015)

Nun, Verfahrensfehler lassen sich schlussendlich den Verantwortlichen nicht nachweisen. Trotzdem bleibt hier das ungute Gefühl, an der Nase herum geführt worden zu sein. Vom ursprünglichen Masterplan über die mehrfachen Fortschreibungen der Bebauungspläne verabschiedete sich die Stadt immer mehr von den guten Ideen zur Entwicklung eines ganz besonderen Quartiers in der südlichen Innenstadt. Schade.

Bild: Masterplanung „Südliche Innenstadt“ von Sichau & Walter Fulda, Planergruppe Oberhausen, Schultze&Schulze, Kassel

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Warum wir diese alte Geschichte gerade jetzt noch einmal und ausgerechnet auf der Titelseite auf- wärmen? Damit kein Gras darüber wächst! Weil es nach wie vor viele große Bauvorhaben in Fulda gibt, die unsere Stadt für viele Generationen prägen werden – im Waidesgrund sogar wieder mit der Stadt als Eigentümerin des Geländes. Und weil wir hoffen, dass dieses Mal wirklich Alle – vor allem die Bürger*innen, Wähler*innen (!) und Stadtverordneten – ganz genau hinschauen, was ihnen da von wem verkauft wird und was am Ende dabei rauskommt. Am Löhertor, rund um die Langebrückenstraße, im Waidesgrund, auf der Ochsenwiese und brandaktuell auf dem Mehlergelände und wo immer unsere Stadt sich weiter entwickelt. Wohin sie sich entwickelt, wer das entscheidetund wer letztlich profitiert von der„Boomtown“ Fulda – das sind die Fragen, auf die wir mit der AGORA immer wieder die Aufmerksamkeit lenken werden.

Lesen Sie dazu auch den folgenden Kommentar aus der Redaktion:

Warum nur entsteht immer wieder der Eindruck, dass sich in Fulda die Stadtpolitik in Bebauungsfragen von Investoren auf der Nase herum tanzen lässt und die eigenen zur Verfügung stehenden Einflussmöglichkeiten weniger ernstnimmt als jeder Verfechter der antiautoritären Erziehung sein halbherziges „Luna-Sophie, ich sage es dir jetzt zum aller, aller, aller, aller, aller letzten Mal!“

Und wo wäre diese irritierend nachlässige Haltung besser nachzuverfolgen als bei der unsäglichen Geschichte rund um die Aufstockung und Umwidmung des Werner Towers.

Dass die Damen und Herren des Gestaltungsbeirates so hin und weg waren, vom kühnen und die Grenzen des Wettbewerbs sprengenden Entwurf, der in den Worten seines Schöpfers „ein Highlight in der Perlenkette der entlang der Straße aufgereihten Gebäude sei“, dass sie in jahrelanger Gremien-Ab-
stimmung entwickelte Kriterien kurzerhand in den Wind bliesen, kann man nachvollziehen – oder auch nicht. Es geht nicht darum, ob der Hochhausbau schön ist oder nicht schön, das ist Geschmackssache.
Es geht darum, wie hier einem Investor ohne Not der Weg zu seinem größtmöglichen Profit geebnet wurde und gute städtebauliche Ansätze für kurzfristig lukrativ erscheinende Vorhaben aufgegeben wurden. Übrigens ist es laut Kennern der Baubranche ein durchaus allgemein übliches und kalkuliertes Vorgehen von erfahrenen Investoren und Architekten, beim Einreichen von Entwürfen auf Änderungsgenehmigungen im Nachhinein zu vertrauen, um ihre eigenen Vorstellungen noch nach dem Zuschlag durchzusetzen.

Es zeigt sich, dass vom Gesamtkonzept eines Masterplans vor allem dort nicht mehr viel übrigbleibt, wo Grundstücke an private Investoren übergeben werden. Grünflächen und öffentliche Gemeinschaftsflächen „lohnen“ sich eben nicht. Die Flächen in städtischem Eigentum dagegen, der alte Friedhof, der Spielplatz am Hirtsrain und der Platz an der Duume sind gute Beispiele dafür, wie ein durchdachtes Konzept in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann.

Der Platz mit der besten Aufenthaltsqualität im Viertel Südliche Innenstadt ist tatsächlich der wunderschön ursprünglich belassene alte Friedhof im „Franzosenwäldchen“. Aber es ist eben auch ein Platz für die Toten und daher mit entsprechender Würde zu betreten. Auf Plätzen für die Lebenden ginge es sicher manchmal, nun ja, lebendiger her.

Wer wollte (und dürfte?) da schon die im Vorfeld angepriesene „hoch-wertige Außenanlage mit großen Grünflächen und Bäumen“ auf dem Dach der Firmengarage des Werner Towers betreten? Der Bereich, von dem kurz vor Baubeginn von den Architekten noch als „Quartiersplatz mit hoher Aufenthaltsqualität“ gesprochen wurde, ist nach Rückfrage bei der Stadtverwaltung inzwischen Privatgelände, und scheint allein der repräsentativen Dekoration des Hoteleingangs dahinter zu dienen. Wie es wohl ankäme, wenn sich die Bewohner des Quartiers diesen Raum tatsächlich aneignen würden, um sich dort „qualitativ aufzuhalten“? Sagen wir, indem sie dort picknicken würden, grillen, sonnenbaden, Musik machen, Ball spielen,…? Was man halt so macht im Quartier, wenn man sich wohl fühlt?

Es stellt sich auch die Frage, warum vielen Menschen, die Qualität ihres Wohnumfeldes gleichgültig geworden zu sein scheint. Muss man inzwischen so froh sein, überhaupt ein Appartement in Innenstadtnähe zu bekommen, dass man überall einzieht? Vielleicht liegen wir auch falsch und Menschen finden das neue Quartier tatsächlich lebenswert. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Oder aber der Stadtentwickler Ekhart Hahn hat recht, wenn er von einer Verrohung durch Gewohnheit in unserer Wahrnehmung spricht, die zu einer Unfähigkeit führt, lebensfördernde von lebenszerstörenden Prozessen zu unterscheiden.

Die Stadt ist ein System mit vielen Teilnehmern. Es braucht Mut, Visionen und ein Gefühl der Verantwortlichkeit für das Gemeinwohl aller dort Lebender, um dieses System lebendig und zukunftsfähig zu halten. Stadtplanung ist hierzu ein Schlüssel, den man nicht aus der Hand geben sollte. Angst, dass uns die Investoren ausgehen könnten, muss man in Zeiten des billigen Geldes wohl nicht haben.

Warum also nicht selbstbewusst die Kriterien vorgeben und die Investoren und Architekten zum Zuge kommen lassen, die nachhaltig, zukunftsfähig, lebensfreundlich und gemeinwohlorientiert planen? – Ironischerweise hat ein visionäres Plus Energiehaus (ein Haus, das mehr Energie erzeugt, als die Bewohner*innen verbrauchen) immerhin den 2. Platz im hier beschriebenen Wettbewerb erreicht.

Warum nicht mit Bebauungsplänen, deren Umsetzung dann auch konsequent eingefordert wird, die Steuerung in der Hand behalten, auch wenn man nicht selbst Eigentümerin des Geländes ist? Und wenn man Eigentümerin ist, so wie am Waidesgrund, dann ja wohl erst Recht!

Hoffentlich bestätigt sich der Eindruck nicht, dass Stadtplanung in Fulda häufig nur ein Spiel ist, bei dem man schon vor dem Anpfiff weiß, wie es ausgehen wird. Ob die vielerorts nicht mal mehr hinter vorgehaltener Hand geäußerten Vermutungen zutreffen, warum in Fulda immer wieder dieselben, in manchen Kreisen schon fast liebevoll „Big Five“ genannten, Akteure auf dem Spielfeld auflaufen, bleibt Spekulation.

Ein Auswechseln der Spieler auf und neben dem Platz täte dem Stadtbild aber sicherlich in vieler Hinsicht einmal gut.

page2image3720560