Macht hoch die Tür…!

Foto: AGORA

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Europa baut die Grenzen wieder auf. Zäune werden errichtet, Stacheldraht wird gezogen, selbst vom Schießbefehl an deutschen Grenzen war schon die Rede. Es geht ums Sichern und Bewahren des Eigenen. Gemeint sind damit meist die eigene Kultur und die eigenen Werte, auch wenn es seltsam erscheint, mit Stacheldraht und Mauern Werte wie Freiheit oder Toleranz verteidigen zu wollen.

Aber auch innerhalb Deutschlands entstehen neue Grenzen. Auch in Fulda. Menschen werden in Containern, Baumärkten und abgelegenen Ortschaften ohne Verkehrsanbindung untergebracht, vom Rest der Gesellschaft durch Zäune getrennt, von Sicherheitsdiensten bewacht. Und dann gibt es noch die Grenzen zwischen einzelnen. Zwischen Syrern und Afghanen zum Beispiel, oder zwischen BürgerInnen, die sich praktisch und emotional um die Geflüchteten kümmern und BürgerInnen, die „Deutschland den Deutschen“ rufen oder Unterkünfte anzünden.

Was, wenn diese äußeren Grenzen das Abbild unseres inneren Zustandes sind? Eines Zustandes, den wir uns so sehr zu Eigen gemacht haben, dass wir ihn gar nicht mehr befremdlich finden.

Ein Getrennt-Sein vom Nächsten, von der Gesellschaft, aber auch von der eigenen Wirksamkeit und der eigenen Verantwortlichkeit. Ein Zustand, der begleitet wird von Gefühlen wie Angst, Neid und Ohnmacht und von Gedanken wie „Alles soll so bleiben, wie es ist.“, „Das steht mir zu.“ und „Was hab ich damit zu tun?“. Und alles, was uns an diesen Gedanken zweifeln lassen könnte, halten wir raus aus unserer kleinen Welt.

Das geht aber leider nicht mehr. Denn wir wissen zu viel. Wir wollen es nicht wahr haben, aber eigentlich wissen wir, dass unser eigenes Verhalten und die Duldung des Verhaltens von Politik und Wirtschaft auf einer größeren Ebene sehr wohl auch etwas mit der Flüchtlingssituation zu tun haben.

Was wäre also, wenn wir mutig und ehrlich wären und unsere inneren Grenzen durchlässig machten?

Lassen wir durch unsere innere Mauer zum Beispiel einmal die Erkenntnis durch, dass unser Wohlstand, um den wir jetzt so fürchten, nicht nur von uns allein erarbeitet wird. Denn wir wissen doch, dass wir Geschäfte machen mit totalitären Regimen und unsere Wirtschaft von Waffenexporten profitiert; dass wir Handelsabkommen schließen, die Bauern in den armen Ländern die Existenz kosten. Wir beseitigen unseren giftigen Wohlstandsmüll in anderen Ländern und lassen dort Dinge produzieren, deren Herstellung schädlich für Mensch und Natur ist. Wir fischen die regionalen Meere woanders leer, tragen T-Shirts und haben Smartphones, in denen Sklavenarbeit steckt, und wir wissen es. Wir tolerieren ein Finanzsystem, das mit Lebensmitteln und Hunger Profit macht. Wir wissen es und schließen tatsächlich dennoch die Tür. Wir tun so, als ob das mit unserem friedlichen Leben in der schönen Rhön nichts zu tun hätte. Hat es aber. Dadurch, dass wir wissen und die Mauern schließen machen wir uns zu einer unmoralischen Gesellschaft auf die man nicht stolz sein kann und über die zukünftige Generationen den Kopf schütteln werden.

Was wir also wirklich beschützen müssen, ist unsere Fähigkeit, nicht nur an uns selbst zu denken. Dafür braucht es keinen Zaun und keine Mauer an unseren Landesgrenzen. Dafür braucht es den Mut und die Gelegenheit, direkt miteinander zu sprechen und aus der abstrakten Zahl von Flüchtlingen einzelne Mitmenschen zu machen, die genauso lustig oder doof sind wie wir selbst. Und das geht nur auf eine einzige Art: Man muss sich anschauen, hingehen, einladen, die Hand geben, sich austauschen, neugierig sein, andere Sichtweisen kennenlernen und die eigenen hinterfragen, ohne das eigene zu verkaufen.

Nehmen wir also Blickkontakt auf, auf der Straße, im Bus, im Wartezimmer, im Café. Besuchen wir die Menschen in den Sammelunterkünften, trinken wir Tee mit ihnen, helfen wir ihnen beim Deutschlernen, spielen wir Fußball mit den Kindern oder zeigen wir ihnen die Stadt. Lassen wir sie zwischen uns wohnen, neben uns oder sogar bei uns. Machen wir keinen Bogen um den Container, machen wir die Tür auf, gehen wir hinein und halten wir aus, was wir hören und sehen. Schauen wir hinter die Fassaden unserer Glitzerwelt. Machen wir unsere inneren Grenzen durchlässig für das, was diese Menschen erlebt haben und was sie sich vom Leben erhoffen, und wir werden uns selbst darin erkennen. Grenzen, Mauern und Zäune funktionieren immer in zwei Richtungen. Sie sperren aus, sie sperren aber auch ein.

Lassen wir dieses Land und unser Denken nicht eng und klein werden.